Nahost

Der wahre Konflikt

Tag für Tag kann die Welt den in der Vergangenheit von so vielen so oft beschworenen »Flächenbrand«, der die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens auseinanderreißt, besichtigen – jetzt schon im sechsten Jahr. Der Alltag der Menschen dort: Tod und Terror, Vernichtung und Vertreibung. Hunderttausende sind allein in Syrien gemordet worden. Hunderttausende werden dort in den nächsten Jahren denselben Tod erleiden.

Nichts anderes widerfährt den Menschen des Jemens, denen des Irak, den Bewohnern Libyens. Massaker sind dort zum Alltagsprogramm geworden. Mittels Fassbomben und – wenn es im Belieben der jeweiligen Warlords, Diktatoren oder religiösen Eminenzen steht – gerne auch mit Gas. Dasselbe Schicksal droht den Bewohnern des Libanon ebenso wie denen des jordanischen Königreichs. Beide mehr als nur sehr fragile Staaten im nahöstlichen Glaubens- und Religionskrieg. Und der hat nichts mit den ungelösten Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Juden und Muslimen zu tun.

schlachten Nicht dieser ungelöste Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist die Mutter aller Schlachten, die den Nahen Osten in weiten Teilen verheeren und menschenleer machen: Es ist der über lange Jahrhunderte gewachsene Hass zwischen Sunniten und Schiiten, der sich da so hemmungslos austobt.

Die viel zitierte »arabische Straße« – ein recht rassistisch daherkommendes Wort, das in der Vergangenheit von ansonsten ehrenwerten Antirassisten so gerne bemüht wurde –, sie »explodiert« nicht. In den Straßen der arabisch-islamischen Welt werden die Menschen wohl noch auf lange Zeit im blutigen Glaubens- und Konfessionswahn, der zwischen Schiiten und Sunniten tobt, nur Spielbälle sein und hilflos zerrieben werden.

Aus einem geradezu messianischen Sendungsbewusstsein heraus hat die Islamische Republik Iran nach 1979 den Export ihrer schiitischen Revolution in die islamische Welt propagiert und durchexerziert. Im Libanon, im Jemen, in Bahrain, in den Staaten Nordafrikas: Die schiitischen Dschihadisten hatten von jeher einen globalen Anspruch. Allen Häutungen des Regimes in Teheran zum Trotz hängen die erzreaktionären Glaubenseliten des Iran ihren schiitisch-dschihadistischen Träumen noch immer nach.

endzeitträume Aus Saudi-Arabien organisieren, finanzieren und exportieren Prinzen und Privatiers seit Jahrzehnten weltweit ihre sunnitisch-dschihadistischen Träume. Tödliche Endzeitträume als Regierungsprogramm. Nichts kennzeichnet den Glaubenswahn, in dem Sunna und Schia gefangen sind, mehr als eine Episode, die der ehemalige Leiter des britischen MI6, Sir Richard Dearlove, zu erzählen weiß.

Unmittelbar vor 9/11 wusste Prinz Bandar bin Sultan, der in Washington mehr als nur sehr mächtige saudische Botschafter, dem britischen Geheimdienstchef eines kühl zu prognostizieren: »Im Nahen Osten ist die Zeit nicht fern, Richard, da es sprichwörtlich heißen wird: Möge Gott den Schiiten beistehen. Mehr als eine Milliarde Sunniten haben einfach genug von Ihnen.«

15 Jahre später ist diese Prophezeiung Realität geworden. Befeuert wird das alltägliche Schlachten zwischen Sunniten und Schiiten zudem durch die ethnischen Verwerfungen, die die Menschen der Region seit Jahrhunderten gefangen halten. Araber und Perser, Türken und Kurden waren nie im freudigen Miteinander verbunden. Oft genug im gegenseitigen Hass. Der tobt sich infolge der im Westen so schwärmerisch verklärten »Arabellion« jetzt hemmungslos aus. Die Region erlebt derzeit den Aufbau eines 30-jährigen Religionskriegs, vergleichbar dem Krieg, der Europa vor 400 Jahren verwüstete und in weiten Teilen menschenleer gemacht hat.

»weltenbrand« Verständlich, dass da flieht, wer fliehen kann. Nach Europa. Millionen haben sich bisher auf den Weg gen Westen begeben. Ins sicher gewähnte Europa. Ihnen werden weitere Millionen folgen. Sie lassen ihre Konflikte nicht außen vor, bringen diese vielmehr mit. Die Folge: Europa fliegt derzeit das sicher geglaubte Behagen wohlanständiger Saturiertheit um die Ohren. Mit allen unkontrollierbaren Folgen. Auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz wurde angesichts dessen, was sich da im Nahen Osten aufbaut, sehr offen – und, viel schlimmer noch, in aller Rat- und Hilflosigkeit – vor einem drohenden »Weltenbrand« gewarnt.

Es ist bezeichnend und bizarr zugleich, dass sich dort ausgerechnet die Vertreter der beiden nahöstlichen Regionalmächte als Friedensdiplomaten präsentierten, die als Brandstifter den Konfessionskrieg erst ausgelöst haben. Die Diplomaten der schiitischen Islamischen Republik Iran und die des wahabitischen Königreichs Saudi-Arabien stellen sich jetzt als Feuerwehrleute dar, wiewohl ihre jeweiligen Regime den Brand erst gelegt haben und weiter zündeln.

Beide Staaten stehen einander waffenstarrend und hochgerüstet gegenüber. Die Saudis von den Staaten des Westens. Die Islamische Republik, schon jetzt eine virtuelle Nuklearmacht, von Russland, dem Wiedergänger der untergegangenen UdSSR. Beide Regionalmächte stehen schon jetzt am Abgrund einer direkten militärischen Auseinandersetzung. Noch wird die nur über Stellvertreter geführt.

Der Verfasser ist Journalist und Buchautor. Zuletzt ist von ihm erschienen: »ISIS – Der globale Dschihad«.

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert