Herr Dziuballa, wie geht es Ihnen?
Inzwischen wieder ganz okay. Die Schmerzen in der Schulter sind zum Glück nach ein paar Tagen wieder verschwunden. Doch der Schock über die Attacke ist ein Stück weit geblieben. Die Unbeschwertheit ist weg.
Inwiefern?
Ich bin normalerweise nicht der Typ, der sich versteckt. Ich trage mein Judentum mit Stolz. Meine Kippa habe ich bisher nie unter einer Basecap verborgen. Das hat sich nun geändert. Wenn ich mit meiner Nichte unterwegs bin, trage ich bewusst einen Hut über der Kippa. Ich möchte nicht, dass sie meinetwegen angegriffen wird.
Was genau ist am Abend des 27. August in Ihrem Restaurant passiert?
Das ist relativ schnell erzählt. Am Montag nach den rechtsextremen Ausschreitungen bei uns in Chemnitz fand in meinem Restaurant ein Vortrag statt. Gegen 21.30 Uhr war dieser beendet. Etwa zehn Minuten später waren wir noch zu dritt im Lokal. Da hörte ich ein undefinierbares Geräusch. Ich ging vor die Tür und wollte nachsehen. Vor dem Eingang standen mehrere in Schwarz gekleidete maskierte Männer. Ich meine, mich zu erinnern, dass ich noch »Haut ab!« gerufen habe, aber es kann sein, dass ich das nur in Gedanken zu mir selbst gesagt habe. Im nächsten Moment prasselten auch schon Steine, Flaschen und – wie sich nachher zeigte – ein abgesägtes Stahlrohr auf mich ein. Ich hörte, wie ein Mann rief: »Hau ab aus Deutschland, du Judensau!«
Wie ging es dann weiter?
Ich stand unter Schock. Noch nie hatte ich so große Angst wie in diesem Moment. Ich versuchte, irgendwie die Tür zuzubekommen. Als ich sah, dass sich die Männer vom Restaurant entfernten, machte ich schnell Fotos von ihnen. In meiner Erinnerung fühlt es sich an, als wären es 100 Männer gewesen. Tatsächlich waren es etwa zehn oder zwölf Täter. Danach habe ich sofort die Polizei gerufen.
Wie haben die Beamten reagiert?
Kompetent, zugewandt und professionell. Sie haben sich meine Schilderung in Ruhe angehört und danach einzelne Tatgegenstände gesichert. Ich erstattete Anzeige. Doch danach passierte erst mal gar nichts.
Wie meinen Sie das?
Die Behörden teilten den Vorfall der Öffentlichkeit erst rund zwei Wochen später mit. Aber es gab noch weitere, viel schwerwiegendere Pannen. Mir wurde berichtet, dass meine Anzeige im Polizeibericht gar nicht aufgenommen wurde, und später lief das Ganze erst einmal unter »versuchter Sachbeschädigung«. Der Staatsschutz hat erst rund anderthalb Wochen nach der Tat weitere Wurfgegenstände bei mir im Restaurant sichergestellt. Auch die Schäden am Lokal wurden erst zehn Tage nach der Tat in Augenschein genommen.
Wie erklären Sie sich das?
Warum das so ist, darüber kann man nur Mutmaßungen anstellen, was ich nicht möchte. Aber sagen wir es so: Befremdlich ist das schon. Ich hätte ein engagierteres und professionelleres Verhalten von der Polizei erwartet. Nach so einer Tat denkt man ja, nun kümmert sich der Staat und versucht, die Täter zu erwischen. Da dies augenscheinlich nicht so war, ist mein Grundvertrauen schon ein bisschen erschüttert.
Sie und Ihr Restaurant wurden in der Vergangenheit schon des Öfteren angefeindet. Hat das jetzt eine neue Qualität?
Absolut. Bis 2012, als wir noch in der Nähe des Hauptbahnhofs unseren Sitz hatten, gab es regelmäßig Sachbeschädigungen und antisemitische Beleidigungen durch Neonazis. Aber seit wir vom Hauptbahnhof weggezogen sind, ist es viel sicherer geworden. Das »Schalom« liegt in einem guten, belebten Viertel. Es gibt sie noch, die Anfeindungen von Neonazis und wohlgemerkt auch von muslimischen Antisemiten, aber früher am Bahnhof gab es viel Nazi-»Laufkundschaft«, die zufällig mein Restaurant gesehen und »Juden ins Gas!« oder so gerufen hat. Die Steine, die jetzt nach mir geworfen wurden, hätten jemandem – Gott behüte – auch ernsthaft schaden können.
Der Angriff erfolgte kurz nachdem ein Deutsch-Kubaner von Flüchtlingen erstochen worden war, woraufhin es zu rechtsextremen Ausschreitungen kam. Gibt es Ihrer Ansicht nach einen Zusammenhang?
Auch darüber kann ich nur spekulieren. Aber ausgeschlossen ist es nicht. Aufgrund der antisemitischen Beleidigung und des Aussehens der Täter deutet ja alles auf Neonazis hin. Vielleicht haben sie durch die Vorgänge in Chemnitz Oberwasser bekommen und wollten sich jetzt auch mal »den« Juden vorknöpfen.
Sie haben immer gesagt: Ich mache weiter. Wie sieht das heute aus?
Das ist nach wie vor so. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Es wäre das komplett falsche Zeichen, aufzuhören. Nicht mit mir. Natürlich mache ich weiter.
In diesen Tagen ist oft zu lesen, dass Chemnitz eine geteilte Stadt ist. Wie erleben Sie die Stimmung?
Schwierig zu sagen. Auf Basis meiner Alltagserfahrungen würde ich nicht sagen, dass Chemnitz geteilt ist. Ich denke, dass die friedlichen und demokratischen Chemnitzer in der Mehrheit sind. Die sind aber nicht so sichtbar wie Neonazis oder Linksextreme. Ich glaube auch, dass viele Rechts- und Linksextremisten aus ganz Deutschland nach Chemnitz zu gewalttätigen Demonstrationen anreisen. Die Stadt ist ein bisschen ein Schauplatz für die politischen Auseinandersetzungen geworden.
Wie hat Chemnitz auf den Angriff auf das »Schalom« reagiert? Gibt es Unterstützung?
Es gibt viel Solidarität, ja. Ich bekomme etliche freundliche E-Mails. Viele Chemnitzer kommen im Lokal vorbei und versichern mir ihre Unterstützung. Ich habe mich auch sehr über Reaktionen aus der Politik gefreut. Ich merke, das ist kein Blabla, sondern glaubwürdige Anteilnahme.
Die AfD gibt sich gern philosemitisch. Hat sich die Partei bei Ihnen gemeldet?
Nein.
Mit dem Inhaber des Restaurants »Schalom« sprach Philipp Peyman Engel.