Der Stolpsee im brandenburgischen Landkreis Oberhavel, im Februar 2013: Es ist kalt an diesem Wintermorgen. Eisschollen treiben auf dem See, Schilf und Bäume sind eingeschneit. Eingepackt in eine dicke Winterjacke, die Wollmütze über die Glatze gezogen, steht Yaron Svoray am Ufer und starrt nachdenklich auf das Wasser hinaus.
Seit sechs Jahren wartet er auf diesen Moment. Dann sagt der ehemalige Fallschirmspringer der israelischen Armee und Sohn eines deutschen Juden: »Heute geben wir offiziell bekannt, dass wir das 70 Jahre alte Rätsel um den Stolpsee lösen wollen. Wir werden den versunkenen Schatz finden – auch damit die Menschen, denen er womöglich einmal gehörte, eine späte Gerechtigkeit erfahren.«
ss-aktion Der Stolpsee im März 1945: Langsam rumpeln Lastwagen den steilen Weg hinab in die Krebsbucht, vorbei an riesigen Eichen. Kurze Stille, dann bricht Gebrüll los. SS-Männer treiben eine Gruppe ausgemergelter Häftlinge aus dem nahe gelegenen Konzentrationslager Ravensbrück vor sich her, Schlauchboote werden aufgeblasen und ins Wasser gelassen, Kisten verladen. Die SS-Leute haben es eilig. Sie wissen, dass die Russen kurz vor Berlin stehen. Nicht mehr lange, und das Dritte Reich ist Geschichte.
Die Häftlinge schleppen schwer, ächzen, nur mühsam bekommen sie die Boxen in die Boote gewuchtet und auf den See hinaus geschafft. Sie kippen die Kisten in den See, immer und immer wieder. Als sie fertig sind, müssen sie sich am Seeufer aufstellen, von ihrer gestreiften Häftlingskleidung tropft das Seewasser. Wieder ein Befehl, Schüsse fallen. Totenstille.
Die Legende vom Nazi-Schatz im Stolpsee klingt abenteuerlich. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion, geheime Kisten, versenkt in einem brandenburgischen See? Beweise gibt es dafür keine. Also alles nur abgedrehte Spinnerei?
göring Zurück im Februar 2013: Kaum jemand kennt die Legende vom Stolpsee so gut wie Erich Köhler. Seit 40 Jahren lebt und arbeitet er in der Region, erst als Pfarrer in der DDR, dann als Ortschronist. Er sagt: »In all den Jahren haben mir die unterschiedlichsten Anwohner immer wieder die gleiche Geschichte erzählt. Ich bin mir sicher, dass an der Erzählung um den Schatz etwas dran ist.« Auch für den Inhalt der Kisten hat Köhler eine Theorie: »Einige Menschen glauben, dass in den Kisten Raubbeute war, Gold und Platin aus Carinhall, wo Hermann Göring seinen Landsitz hatte. Ich denke eher, dass die SS Dokumente aus dem KZ Ravensbrück versenkt hat, um Spuren zu beseitigen.«
Tatsächlich gehört Ravensbrück bis heute zu den am schlechtesten erforschten Konzentrationslagern auf deutschem Boden. »Es fehlen einfach zu viele Dokumente«, sagt ein Mitarbeiter der heutigen Gedenkstätte. »Aber ob sie schon während des Krieges vernichtet wurden oder erst danach in der Sowjetunion verloren gingen, wissen wir natürlich nicht.«
Ob Gold, Platin oder geheime Dokumente – für Svoray spielt das keine Rolle. Er hat Erfahrung mit »heiklen Missionen«, wie er das nennt. 1994 veröffentlichte er ein Buch über seine Erfahrungen als Undercover-Agent in der deutschen Neonazi-Szene, seitdem widmet er sich der Suche nach verschwundenen Relikten aus der Nazi-Zeit. »Hauptsache, wir finden die Kisten im Stolpsee und holen sie raus«, sagt er.
stasi Dabei ist der Israeli nicht der erste, der das versucht. Im Oktober 1981 versetzt ein ominöser westdeutscher Waffenhändler die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannstraße in Aufregung – und in einen Goldrausch. Der Mann berichtet von einem versenkten Nazi-Schatz im Stolpsee, von schweren Kisten und präsentiert eine angebliche Schatzkarte. Minister Mielke ist elektrisiert und ruft die Geheimoperation »Herbstwind« aus. Sechs Monate lang sind Bagger und Armeetaucher im Einsatz – ohne Erfolg. Die Kisten bleiben verschollen.
Wieder zurück im Februar 2013: »Die Sicht im See ist gleich null, und auf dem Grund hat sich eine zwei Meter hohe Sedimentschicht aus Kriegstrümmern und Klärschlamm gebildet – da konnte die Stasi mit ihren primitiven Mitteln doch gar nichts finden«, sagt Yaron Svoray. Sein Plan: Das Gewässer mit modernster Sonartechnik horizontal und vertikal Meter für Meter genau kartografieren und so nach den Kisten suchen. Dabei wird sein Team von Thomas Kersting, Dezernatsleiter beim Landesamt für Denkmalpflege, unterstützt: »Es handelt sich hier um eine Expedition von historischem Interesse. Da probieren wir natürlich mit unseren Experten auf und neben dem See zu helfen.«
Sechs Jahre lang hat sich Yaron Svoray auf die Operation am Stolpsee vorbereitet. Er hat mit Zeitzeugen in Deutschland und Israel gesprochen, Geld gesammelt und nach der richtigen Technik gesucht. Was er machen würde, wenn er am Ende tatsächlich etwas fände? »Natürlich würden wir alles an das Land Brandenburg oder die Bundesregierung übergeben«, versichert der Israeli. »Vielleicht könnte aus dem Schatz ein Museum, eine Gedenkstätte oder eine soziale Einrichtung finanziert werden. Das wäre schön.«