Der Gefangenenaustausch, der die Rückkehr des israelischen Soldaten Gilad Schalit ermöglichte, hat die radikal-islamische Hamas in Gaza gestärkt. Daher, so fordern es Strategen der israelischen Armee, wäre Israel gut beraten, wenn es weitere Palästinenser freiließe. So könnte nämlich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gestärkt werden. Innerpalästinensisch muss sich Abbas nämlich die Frage gefallen lassen, was er mit seiner Politik bisher erreicht hat.
Die Hamas habe es immerhin auf rund 1.000 freigelassene Palästinenser gebracht. Genau aus dem Grund drängen nun Zahal-Offiziere Benjamin Netanjahu, er solle vor allem auch Fatah-Angehörige freilassen. Dem gleichen Zweck würde auch die Übergabe von Territorien an die Palästinensische Autonomieregierung dienen, meinen Armee-Strategen.
strafe Doch Regierungschef Netanjahu soll diesen Vorschlägen ablehnend gegenüberstehen, heißt es. Erstens sei er zusammen mit seinem Außenminister Avigdor Lieberman der Meinung, dass Abbas keine Belohnung, sondern eher Strafe verdient habe, weil er vor der UN-Generalversammlung für die Anerkennung eines unabhängigen Staates Palästina eingetreten ist. Konzessionen an Abbas würden aller Wahrscheinlichkeit nach das Überleben der Koalition gefährden, sagen Beobachter in Israel.
Und Kenner des Gazastreifens meinen, Zugeständnisse an Abbas seien überflüssig: Man solle den Popularitätsgewinn der Hamas nicht überschätzen; sobald der zweite Teil des Gefangenenaustausches abgewickelt und die Euphorie ver- flogen ist, könne die Hamas ihren »Schalit-Bonus« nur erhalten, wenn sie die Versorgung der Bevölkerung verbessert. Voraussetzung dafür ist aber, dass Hamas und Israel ins Gespräch kommen, direkt oder indirekt. Nur mit einer zumindest teilweisen Aufhebung der Abriegelung des Gazastreifens wird es möglich sein, das Los der Bevölkerung zu verbessern. »Danach sieht es derzeit aber nicht aus«, sagt der Arabien-Experte des Armeeradios, Jackie Khougi.
pendler Optimisten sehen zwar in der Tatsache, dass Israel und die radikal-islamische Hamas den Deal ausgehandelt haben, ein Zeichen der Annäherung. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass sich die Unversöhnlichen in dieser heiklen Frage geeinigt hätten? Doch Khougi warnt vor übertriebenen Erwartungen: Das Feilschen hatte nie in direkten Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht stattgefunden. Vermittler hatten als Pendler von Raum zu Raum zwischen den beiden Delegationen dafür gesorgt, dass die Vertreter Israels und der Hamas verhandeln konnten, ohne miteinander zu reden. So weit sind Israelis und die Hamas voneinander entfernt, dass sie sogar die Unterschriften unter den Vertrag auf zwei separaten Papieren setzten, so Khougi.
Nach der Heimkehr von Gilad Schalit äußerten mehrere Politiker die Befürchtung, dass es demnächst zu weiteren Entführungen kommen könnte, um damit die restlichen Gefangenen aus israelischen Gefängnisse zu befreien. Die Hamas habe gelernt, dass sich Kidnapping auszahle.
Diese Argumentation greife zu kurz, meint ein Journalist in Gaza. Die Hamas habe große Furcht vor massiven israelischen Vergeltungsschlägen, sollte es zu neuen Entführungsaktionen kommen. Da sie im Gazastreifen für die Versorgung der Bevölkerung verantwortlich ist, habe sie kein Interesse, Israel zu provozieren. Deshalb werde sie auch radikale Bewegungen daran hindern wollen, israelische Soldaten zu entführen. Die Hamas hat in den vergangenen Jahren empfindlich an Popularität verloren, weil die Gaza-Bevölkerung für die Angriffe der Hamas auf Israel einen hohen Preis hatte bezahlen müssen.
ägypten In Jerusalem sieht man im Abschluss des Gefangenaustausches ein Indiz für die neue Rolle, die Kairo künftig in der Region spielen könnte. Auf ägyptischer Seite habe die Hamas mit dem neuen Regime Ansprechpartner, denen sie mehr vertraut als den Vorgängern unter Mubarak, sagt ein ehemaliger Agent des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. Die Tatsache, dass sich die Muslimbrüder an den Wahlen beteiligen und gut abschneiden könnten, veranlasse die ägyptische Regierung, sich mit der Hamas gutzustellen.
Die insgesamt positivere Einstellung der neuen Machthaber in Kairo führt zu einem besseren Hebel: Während Mubarak die Hamas im besten Fall kontrollieren konnte, was ihm aber nur schlecht gelang, hätte das neue Regime möglicherweise Einfluss auf die Hamas. Das jüngste Einlenken könnte ein erstes Resultat eines besseren Kontaktes zwischen Gaza und Kairo sein.