Es hat sich doch einiges angesammelt in den vergangenen vier Wochen: Auf dem Schreibtisch von Boris Palmer in seinem Amtszimmer im zweiten Stock des historischen Rathauses von Tübingen liegt ein großer Stapel Akten, auch das E-Mail-Postfach ist gut gefüllt. Der inzwischen parteilose Oberbürgermeister steht an seinem Schreibtisch mit bestem Blick auf den Tübinger Wochenmarkt und arbeitet sich durch die Unterlagen, etwa wichtige Vorlagen für den Gemeinderat. »Die müssen in den Druck«, sagt Palmer.
Nach einer vierwöchigen Auszeit ist Palmer jetzt also zurück im Tübinger Rathaus. Der Oberbürgermeister der 90 000-Einwohner-Stadt hatte sich am 1. Juni in eine vierwöchige Auszeit verabschiedet - nach einem Eklat rund um Aussagen Palmers am Rande einer Migrationskonferenz Ende April in Frankfurt am Main. Nach der Eskalation um seine umstrittenen Äußerungen war er auch bei den Grünen ausgetreten.
Vermisst, so gibt er zu, habe er die Arbeit im Rathaus während seiner Abwesenheit nicht wirklich. »Ich bin immer gern ins Geschäft gegangen, kann aber auch ohne«, sagt er der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Tübingen. Und jetzt? Kehrt nach den vier Wochen ein neuer Palmer zurück ins Rathaus? Zumindest äußerlich hat sich der 51-Jährige nur leicht verändert. Er, der sonst gerne auch mal mit einem grünen oder knallblauen Jackett unterwegs war, trägt einen dunklen Anzug, ein graues Hemd und eine grau gestreifte Krawatte. Die grauen Haare sind ordentlich frisiert, der Vollbart etwas länger als vor der Auszeit.
Auf Fragen antwortet er mit wenigen Worten, vorher überlegt er kurz. Es wirkt, als habe er in seiner Auszeit an seinem öffentlichen Auftritt gefeilt, sich Zurückhaltung auferlegt. Denn sein immer wieder aufbrausendes und spontanes Wesen war es, das ihn letztlich seine Parteimitgliedschaft bei den Grünen gekostet und auch zur Auszeit geführt hatte.
Am Rande der Veranstaltung in Frankfurt Ende April hatte er alles andere als kontrolliert reagiert: Mit einer Protestgruppe hatte er eine Auseinandersetzung über seine Verwendung des »N-Wortes«, einer früher in Deutschland gebräuchlichen rassistischen Bezeichnung für schwarze Menschen. Die Protestierenden konfrontierten ihn mit »Nazis raus«-Rufen. Daraufhin sagte er: »Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi.«
In der Auszeit, so hatte er es vorher angekündigt, wollte er »den Versuch machen, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten«. Hat sich also die Auszeit gelohnt? Hat er etwas für sich gelernt? Dazu gibt sich Palmer äußerst wortkarg. »Es war gut, so wie es war.« Details, etwa zu konkreten Ergebnissen, will er keine nennen. Und dann gibt er noch eine äußert ungewöhnliche Antwort: »Ich antworte Ihnen mit einem Bibelzitat: Matthäus 7,16«, sagt Palmer. Darin heißt es: »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen«.
Konkreter wird er bei seinem Umgang mit den sozialen Medien, genauer seinem Facebook-Profil. Dort kündigte er am Donnerstagabend an, die Kommentarfunktion einschränken zu wollen - auch um sich selbst zu schützen. »Man denkt zwar immer, man lässt das nicht so an sich heran: Es beeinflusst einen aber schon, wenn man dort ständig negative Energie aufnimmt«, sagt er. Ab sofort können auf Facebook deswegen nur noch Freunde von Palmer seine Beiträge kommentieren. Bisher laufe das gut.
Am Abend können sich die Tübinger dann selbst ein Bild davon machen, ob ihr Bürgermeister sich verändert hat oder der alte geblieben ist. Beim Tübinger Sommerfest absolviert der OB einen seiner ersten öffentlichen Auftritte. Er fährt mit dem Riesenrad, steigt mit einem Jugendlichen in einen Autoscooter und wirft mit Ringen auf kleine Plüschtiere - immer umringt von mehreren Kamerateams und Reportern. »Als wäre der Bundeskanzler hier«, witzelt er später vor dem Fassanstich.
Seine Auszeit spricht er nur ganz kurz an. Ja, sagt er, er sei jetzt wieder da: »War auch nicht schlimm. Alles wieder gut.« Dann dankt er den Veranstaltern, den Schaustellern und natürlich dem Spender des Bierfasses - Alltag für einen Oberbürgermeister. Und nach Skandalen und der Auszeit jetzt auch wieder Alltag für Palmer. Für den Fassanstich braucht er nur zwei Schläge, auch da ist er routiniert. »Das ist bestimmt mein 50. Bierfass«, sagt er.