Debatte

»Der Muezzinruf in Köln ist verfassungswidrig«

Hamed Abdel-Samad, Politologe und Träger der Josef‐Neuberger‐Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf Foto: imago

Der vielfach ausgezeichnete Publizist Hamed Abdel-Samad sieht in der Zulassung des Muezzinrufs in Köln die verfassungswidrige Bevorzugung einer Minderheit und einen weiteren Schritt auf dem Weg zu mehr Einfluss des politischen Islam. »Jeder Muslim darf beten, fasten und nach Mekka pilgern, wie er das möchte. Aber warum sollen einige Menschen das Recht bekommen, per Lautsprecher ihre Stadtviertel zu beschallen?«, sagte Hamed Abdel-Samad der »Welt« am Freitag im Interview.

Das habe weder mit Vielfalt noch mit Glaubensfreiheit zu tun, so der Politikwissenschaftler. »Atheisten, Hindus und Veganer dürfen das nicht. Nur die Minderheit der Muslime darf jetzt an 35 Orten in Köln jeden Freitag fünf Minuten ihre Ideologie herausposaunen.« Ihn störe diese Bevorzugung, die aus seiner Sicht verfassungswidrig sei, da niemand aufgrund seiner Religion privilegiert werden dürfe.

Der Muezzinruf sei nicht vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken. »Die Glocken nerven manchmal auch, machen aber keine Propaganda wie der Muezzinruf. Über die Glocken wird keine Ideologie verkündet. Aber wenn der Muezzin den Schlachtruf Allahu Akbar ruft, also ›Allah ist größer als alle Religionen, alle Feinde, alle Menschen, und Mohammed ist sein Gesandter‹, ist das eine klare Ansage an den Rest der Gesellschaft«, so Abdel-Samad.

Trotzdem seien aus seiner Sicht auch Kirchenglocken »nicht mehr zeitgemäß im aufgeklärten Staat«, betonte er. »Im Schatten der Kirchen wächst und gedeiht der politische Islam, der nun die gleichen Privilegien haben will wie die Kirchen. Deshalb bin ich für mehr Säkularisierung, nicht für mehr Privilegien für den Islam.«

Zwar betonte der Politologe die Notwendigkeit der Integration mit Blick auf Bildung, Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten. Die Zulassung des Muezzinrufs gerade »in einer Islamisten-Hochburg wie Köln, wo die Integration gescheitert ist, wo der türkische Präsident Erdogan die größte Fangemeinde der Welt hat, wo massenhafte sexuelle Übergriffe durch Zuwanderer stattfanden« sieht er jedoch als kontraproduktiv. Säkulare Muslime etwa hätten davon nichts.

Der Staat müsse neutral sein. »Seine Aufgabe ist zu garantieren, dass jeder glauben und beten darf, was er will, und zu garantieren, dass ihn niemand daran hindert. Er muss nicht befördern, dass einige Muslime ihre Vorstellungen überall in Institutionen und im öffentlichen Raum zur Schau stellen dürfen.«

Unterdessen hat die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter das Kölner Modellprojekt zum Muezzinruf kritisiert. Der Gebetsruf beinhalte im Gegensatz zum ohne Worte auskommenden christlichen Glockengeläut die explizite Botschaft, dass Allah der Größte sei, sagte die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam in Frankfurt am Main am Freitag im Deutschlandfunk.

Die Genehmigung des Rufs zum Freitagsgebet bedeute ein Privileg vor allem für die Vertreter eines politischen Islam wie etwa die Ditib, die Auslandsorganisation des türkischen Religionsministeriums, sagte Schröter. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland den Muezzinruf gar nicht wolle. Vor allem Geflüchtete hätten damit sogar teils traumatische Erfahrungen gemacht. Auch die meisten deutschen Moscheen wollten nicht öffentlich zum Gebet rufen.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker verteidigte das Modellprojekt in ihrer Stadt dagegen. Den Muezzinruf an Freitagen zu erlauben, stelle für sie ein Zeichen des Respekts dar, schrieb die parteilose Politikerin auf Twitter. Bislang hat allerdings noch keine Kölner Moschee einen entsprechenden Antrag gestellt. kna/ja

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