Jahrestag des Weltkriegsendes

Der Krieg gegen die Ukraine prägt den 8. Mai

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

So einen 8. Mai hat es noch nie gegeben: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine überschattet und prägt zugleich das diesjährige Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa durch die deutsche Kapitulation vor 77 Jahren. Beide Länder sind als einstige sowjetische Brudervölker Opfer und zugleich Besieger des Nationalsozialismus.

Doch Russlands Präsident Wladimir Putin versucht, die Erinnerung für seine Expansionsziele zu missbrauchen. Deutschland steht nun vor der Aufgabe, die viel beschworene Verpflichtung des »Nie wieder!« gegenüber den um Leben und Freiheit kämpfenden Ukrainern einzulösen, ohne an diesem wichtigen Gedenktag die Befreierrolle des heutigen Aggressors Russland zu schmälern.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte dazu eine Fernsehansprache halten, die am Sonntagabend von mehreren Sendern ausgestrahlt werden sollte. Die Bundesregierung sprach vorab von einem besonderen Gedenken zum 8. Mai. Scholz hatte schon kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar eine TV-Ansprache gehalten.

BÄRBEL BAS IN KIEW Am Sonntagmittag gedachte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zusammen mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk in Kiew der Opfer des von Nazi-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs. Beide legten am Grabmal des unbekannten Soldaten Kränze nieder. Dieses Gedenken sei für sie »sehr bewegend«, sagte Bas. Es sei ein großer Schritt, dass sie dies als Repräsentantin des Landes, das den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Gräueltaten zu verantworten habe, gemeinsam mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten tun könne.

Bas machte deutlich, dass es um »alle Opfer« gehe - zuerst um die der Ukraine, aber auch um die Opfer in Russland, Polen, Belarus, in den baltischen Staaten und in den Staaten Mittel- und Osteuropas. »Für mich ist der Tag auch insofern besonders, weil er nicht nur erinnert, sondern auch der Versöhnung dienen soll.« Bas forderte, dass es in der Ukraine zum Frieden kommen müsse.

Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu Ende gegangen. Zum Auftakt ihres Besuches in Kiew hatte sich die Bundestagspräsidentin mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal getroffen

Vor Bas war am Dienstag bereits der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in Kiew gewesen. In den kommenden Tagen ist zudem eine Reise von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geplant.

Der Vorsitzende der Christdemokraten im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), forderte Scholz zu einer raschen Reise nach Kiew auf. »Am besten gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron«, sagte Weber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. »Neben den USA kommt es in diesem Konflikt besonders auf Deutschland an.« Bisher sind aber weder in Berlin noch Paris entsprechende Reisepläne bekannt.

Das Verhältnis zwischen Berlin und Kiew war in den vergangenen Wochen extrem angespannt gewesen, wegen einer Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die Ukraine, deren Regierung ihm eine russlandfreundliche Politik als früherer Außenminister ankreidet. In Berlin wurde dies als Affront gewertet. Die Irritationen wurden laut Bundespräsidialamt bei einem Telefonat Steinmeiers und Selenskyjs am Donnerstag aber ausgeräumt.

PANZERHAUBITZEN Die Beziehungen zwischen Berlin und Kiew sind aber auch deshalb nicht ganz konfliktfrei, weil Deutschland zwar Waffen und inzwischen auch schweres Gerät wie Flugabwehrpanzer und Panzerhaubitzen liefert, die Ukraine aber noch mehr braucht und daher auf ein noch stärkeres Engagement der wirtschaftsstärksten Macht Europas drängt.

Der Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi sprach sich zum Abschluss einer mehrtägigen Ukraine-Reise gegen deutsche Waffenlieferungen aus. »Wir haben 27 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion, überwiegend Russinnen und Russen, verursacht«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. »An zweiter Stelle kommen schon die getöteten Ukrainerinnen und Ukrainer und dann Menschen anderer Nationalitäten.« Deutschland dürfe nicht eine Ex-Sowjetrepublik gegen die andere aufrüsten.

Vor den Feierlichkeiten zum »Tag des Sieges« in Moskau verhängen die USA und die anderen G7-Staaten wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine neue Sanktionen gegen Russland. Das teilte das Weiße Haus in Washington am Sonntag mit. Zuvor hatten die Regierungschefs der G7-Staaten in einer Schaltkonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Die Strafmaßnahmen zielen nach Angaben der US-Regierung unter anderem auf den wichtigen russischen Energiesektor ab.

Putin will am Montag, dem russischen »Tag des Sieges« über Nazi-Deutschland, bei der traditionellen großen Militärparade in Moskau sprechen. Erwartet wird, dass er dabei die weitere Richtung für den zweieinhalb Monate dauernden Krieg gegen die Ukraine vorgibt. In der Ukraine wächst daher die Angst vor verstärkten russischen Luftangriffen im Zusammenhang mit dem Moskauer Feiertag. In frontnahen Städten wie Odessa soll zwei Tage eine Ausgangssperre gelten.

KUNDGEBUNGEN Der Krieg spielt auch bei den zahlreichen Gedenkveranstaltungen und Kundgebungen in Deutschland eine Rolle. So waren etwa in Berlin mehrere Hundert Teilnehmer für Veranstaltungen an den beiden wichtigsten sowjetischen Ehrenmälern angemeldet. Auch in Köln, Frankfurt am Main, Dresden, Hamburg, Freiburg, Hannover und Potsdam sind Veranstaltungen geplant.

Befürchtet wurden Konfrontationen zwischen Gegnern und pro-russischen Unterstützern des aktuellen Krieges. Die Polizei erwartet in Berlin eine »sehr sensible Gefährdungslage«. Sie ist am Sonntag mit rund 1600 Beamten präsent und am Montag mit 1800. Sie hat zahlreiche Auflagen für Gedenkstätten und Mahnmale erlassen. Dazu gehört, dass auf und am jeweiligen Gelände weder russische noch ukrainische Fahnen gezeigt werden dürfen. Dies hatte auch für Kritik gesorgt. Untersagt ist außerdem das Z-Symbol der russischen Invasionstruppen.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze gab bekannt, dass die humanitäre Soforthilfe für die Ukraine um noch einmal die Hälfte aufgestockt wurde, um 63 auf 185 Millionen Euro. »Damit wird die Trinkwasserversorgung wiederhergestellt, werden zerstörte Wohnungen, Schulen und Kindergärten wiederaufgebaut«, sagte die SPD-Politikerin der »Bild am Sonntag«.

Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt erneuerte ihre Forderung nach einer konkreten EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine sowie deutschen Sicherheitsgarantien. »Die deutsche Bundesregierung sollte helfen, dass sie die formalen Kriterien für den EU-Beitritt erfüllen kann«, schrieb sie in einem Gastbeitrag für die Nachrichtenseite ntv.de. dpa

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