Er trägt Stirnglatze, Brille, und ist mit 62 Jahren auch nicht mehr der Jüngste: Dennoch ist Job Cohen der neue Popstar der Niederlande. Seit der bisherige Bürgermeister von Amsterdam vorletzte Woche den zurückgetretenen Wouter Bos an der Spitze der Partij van de Arbeid (PvdA) ablöste, hat sich ein ungeheurer Hype um Cohens Person entwickelt. Es geht um seine Chancen, nach den Neuwahlen im Juni sozialdemokratischer Ministerpräsident zu werden. Und die stehen sehr gut: Zwei Tage nach Bekanntwerden seiner Kandidatur lag die Zustimmung für ihn bei über 50 Prozent. Umgehend gründete sich eine Facebook- Gruppe unter dem Titel Yes We Cohen, die bereits weit über 10.000 Mitglieder hat.
Der Grund für den Hype ist schnell ausgemacht: Seit dem Fall der Regierung im Februar und dem Triumph des umstrittenen Anti-Islampolitikers Geert Wilders bei den Kommunalwahlen Anfang März hatte eine mögliche Regierungsbeteiligung von dessen Partij voor de Vrijheid (PVV) das Land gespalten. Vor einem Aufmarsch des radikalen Islam warnten die einen, vor der Desintegration großer Bevölkerungsgruppen die anderen.
Eine Situation wie geschaffen für den als besonnen geltenden Cohen, der aus einer säkular-jüdischen Akademikerfamilie stammt. In seiner neunjährigen Amtszeit als Bürgermeister Amsterdams legte er stets Wert darauf, zwischen deren Bewohnern aus über 170 Ländern zu vermitteln. »Den Laden zusammenhalten«, nannte er das selbst scheinbar beiläufig, doch aus voller Überzeugung. Längst ist daraus ein geflügeltes Wort geworden.
Qualitäten Just für diese Qualitäten genießt der ehemalige Juraprofessor auch unter niederländischen Juden Wertschätzung. Ron van der Wieken, Vorsitzender der Amsterdamer Liberaal Joodse Gemeente (LJG), bedauert darum einerseits seinen Weggang aus der Hauptstadt. Andererseits habe Cohen »absolut die Kapazitäten« für seine neue Aufgabe. Und dass nun ein Jude die Chance hat, Premier der Niederlande zu werden, findet van der Wieken »prächtig«. Besondere Erwartungen löse das allerdings nicht aus, zumal Cohen zwar gebürtiger, doch kein praktizierender Jude sei.
Auch Ruben Vis, Generalsekretär der orthodoxen Nederlands-Israëlitisch Kerkgenootschap (NIK), begrüßt Cohens Kandidatur und verweist auf seine integrativen Qualitäten. Auch mit dessen Einsatz für jüdische Belange ist Vis zufrieden, da Cohen inzwischen deutlich gegen Antisemitismus auftrete. Früher indes habe er gegenüber entsprechenden Tendenzen unter marokkanischen Niederländern die nötige Sensibilität vermissen lassen. Viele halten Cohen seinen vermeintlich naiven Umgang mit dem politischen Islam auch heute noch vor. Dabei geht es insbesondere um seine Rolle bei einem gescheiterten Moschee-Großprojekt in Amsterdam. Dass dabei der radikale deutsche Flü-gel der fundamentalistischen Milli Görüs involviert war, stellte für Cohen keineswegs ein Hindernis dar, ebensowenig wie deren Verbindungen zur Muslimbruderschaft: »Das ist keine gefährliche Organisation.«
wilders Kaum überraschend, dass Haci Karacaer, der ehemalige Direktor des niederländischen Milli-Görüs-Zweigs, auf Cohens Kandidatur mit Enthusiasmus reagiert: »Cohen ist unsere Sonne in den Niederlanden.« Trübsal geblasen wird derweil in einschlägigen Online-Foren wie dem der »White Nationalist Community Stormfront«. Schließlich, so schreibt dort ein Poster, gab es zuvor »noch keinen Juden, der eine weiße holländische Stadt so vergiftet hat wie Cohen«.
Spannend zu werden verspricht nun zunächst der Schlagabtausch mit dem Kontrahenten Wilders, dessen Partei vor Kurzem noch die Umfragen anführte. Der Wahlkampf begann umgehend: gleich auf seiner ersten Pressekonferenz hielt Cohen eine visionäre Rede über »die Niederlande, die mir vorschweben«.
Darin ging es um sein Lieblingsthema der »anständigen Gesellschaft« und die »gleichmäßige Teilnahme« aller. Wilders dagegen kommentierte Cohens Kandidatur auf Twitter so: »Teetrinken, schmusen und Multikulti anbeten. Wahl für NL glasklar: PVV mit Lösungen oder PvdA mit Geschwätz.«