Es ist ein immer dringlicher werdendes Problem: Ältere jüdische Zugewanderte aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion müssen ihren Lebensabend häufig in Armut verbringen. Nach Angaben der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) kommen 93 Prozent der heute im Rentenalter liegenden sogenannten Kontingentflüchtlinge, die überwiegend in den 90er-Jahren nach Deutschland kamen, nicht ohne Grundsicherung aus. Ursache dafür ist in vielen Fällen, dass in den Herkunftsländern erworbene Rentenansprüche in Deutschland nicht anerkannt werden.
Um für sie einen finanziellen Ausgleich zu schaffen, hat die Bundesregierung nun die Einrichtung einer Stiftung »zur Abmilderung von Härtefällen« beschlossen. Von dem Fonds, der vom Bund mit 500 Millionen Euro ausgestattet wird und im kommenden Jahr bereits die Arbeit aufnehmen soll, werden auch Spätaussiedler und ehemalige DDR-Bürger profitieren – insgesamt mehr als 180.000 Personen. Rund ein Drittel davon sind jüdische Zuwanderer. Die Stiftung will bis Anfang 2024 auf Antrag an alle Berechtigten eine Einmalzahlung von 2500 Euro auszahlen.
anerkennung Kritik an der Umsetzung des Fonds kommt von der Opposition. Petra Pau, Linken-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestags, bewertet die Summe des Härtefallfonds »als viel zu niedrig«. Das Ziel müsse »eine Einmalzahlung an alle Betroffenen in mindestens fünfstelliger Höhe sein«, sagte sie gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. Dafür sei ein Stiftungsvermögen von bis zu zwei Milliarden Euro nötig.
»10.000 Euro als Einmalzahlung wären angemessen.«
Abraham Lehrer, Präsident der ZWST
Ebenso unzufrieden zeigen sich Vertreter der jüdischen Gemeinschaft. »Dieses Ergebnis veranlasst uns nicht zu Jubelstürmen«, sagt Abraham Lehrer, der Präsident der ZWST, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Für Lehrer, der auch Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, steht fest: »10.000 Euro als Einmalzahlung wären angemessen als Anerkennung der Lebensleistung der jüdischen Zuwanderer.«
Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, zeigt sich kritisch. »Man bekommt das Gefühl, dass die dramatische Lage der Menschen nicht richtig ernst genommen wird«, sagte er dieser Zeitung. Das zeige auch »das politische Hin und Her zwischen Bund und Ländern«.
Länder Denn: Eigentlich sollten die Bundesländer den gleichen Betrag in den Fonds einlegen, was eine Auszahlungssumme von 5000 Euro bedeutet hätte. Im Bundeshaushalt 2021 war sogar eine Milliarde Euro eingestellt, eine weitere sollten die Länder beisteuern. Das hätte einem Einmalbetrag von 10.000 Euro pro Betroffenem entsprochen. Eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe kam jedoch zu keinem Ergebnis. Auch die Halbierung des Bundeszuschusses hat die Länder bislang nicht überzeugt.
Damit jedoch die im Bundeshaushalt 2022 eingestellten Gelder nicht verfallen, beschlossen die Haushälter der Ampelkoalition jetzt, nicht länger auf die Länder zu warten und schon in den nächsten Wochen die Härtefall-Stiftung aufzusetzen. Bis Ende März 2023 steht es den Ländern offen, dem Fonds beizutreten. Als einziges Land hat bisher Mecklenburg-Vorpommern seine Bereitschaft dazu verkündet. Das bedeutet, dass Betroffene, die dort leben, den doppelten Betrag, also 5000 Euro, erhalten werden.
Der rentenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Kurth, hofft noch auf Bewegung. »Es wäre absurd, wenn man in Potsdam 5000 Euro bekommt, in Steglitz, ein paar S-Bahnstationen weiter, aber nur die Hälfte«, findet er. Kurth hätte sich ohnehin »eine deutlich größere Summe gewünscht«. Das sei in der aktuellen politischen Konstellation aber nicht durchsetzbar gewesen.
FDP-Abgeordnete Anja Schulz zeigte sich »sehr enttäuscht darüber, dass sich die Kooperation mit den Ländern so schwierig gestaltet« habe.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel sagte dieser Zeitung, sie sei froh, dass der Fonds nun endlich komme und »zumindest der Bund seiner Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen gerecht« werde. Sie persönlich habe sich gewünscht, »dass der Betrag für die Anspruchsberechtigten höher ausfällt«, doch dafür müssten »nun einmal auch die Länder ihren Beitrag leisten«.
Auch die FDP-Abgeordnete Anja Schulz zeigte sich »sehr enttäuscht darüber, dass sich die Kooperation mit den Ländern so schwierig gestaltet« habe. Sie hält es nun für richtig, »dass der Bund keine weitere Zeit verstreichen lässt«. Sie nennt die Einrichtung des Fonds »ein Zeichen der Anerkennung«, auch wenn die Höhe der Einmalzahlung »für die allermeisten nicht das finanzielle Äquivalent für ihre geleistete Arbeit« sei. Schulz appelliert nun an die Länder, sich noch nachträglich an dem Fonds zu beteiligen.
Regelung Die zeigen sich bisher eher zurückhaltend. Zwar unterstütze man »die im Ampel-Koalitionsvertrag angelegte Zielsetzung, einen Ausgleich für jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer zu schaffen, die von Altersarmut betroffen sind«, sagte eine Sprecherin des Staatsministeriums von Baden-Württemberg.
Es handle sich allerdings »um einen Ausgleich im Rahmen des Rentenrechts, für den ausschließlich der Bund zuständig« sei. Eine Beteiligung der Länder sei »dann vorstellbar, wenn sich alle Länder beteiligen und der Bund das Risiko einer Nachschusspflicht« übernehme. Eine Regelung, »die für alle tragbar ist«, habe der Bund bisher aber nicht vorgelegt, so die Sprecherin.
Petra Köpping (SPD), sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, erklärte auf Anfrage, der Härtefallfonds sei »ein politischer Kompromiss auf kleinstem gemeinsamen Nenner«. Unterschiedliche Interessen von Bund und Ländern hätten eine bessere Lösung »letztlich unmöglich gemacht«. Köpping findet, Sachsen würde es »gut zu Gesicht stehen«, sich dem Fonds anzuschließen. Diese Möglichkeit werde nun beraten.
Wie viel die Antragsteller am Ende erhalten werden, ist also weiter unklar. Mehr als 5000 Euro werden es aber voraussichtlich nicht sein. Sobald die Stiftung geschäftsfähig ist, können Anträge eingereicht werden. Die Frist dafür soll Ende September 2023 enden. Für Abraham Lehrer steht jedoch fest: »Wir werden weiter für einen höheren Betrag kämpfen.«