Abraham Klein gilt als bester Fußball-Schiedsrichter, den Israel je hervorgebracht hat. Am 29. März 1934 im rumänischen Temesvar geboren, begann er 1964 seine Karriere. Er war WM-Schiedsrichter in Mexiko 1970, Argentinien 1978 und Spanien 1982. In diesem Monat erscheint im israelischen Sportverlag Glory seine Biografie Herr der Pfeife. Eine Übersetzung ins Englische soll folgen, auch eine deutsche Ausgabe ist geplant.
Herr Klein, Sie überlebten als Kind im rumänischen Temesvar den Holocaust und reisten 1947 mit Ihrer Mutter über die Niederlande nach Palästina aus. 1969 pfiffen Sie das erste Spiel einer deutschen Mannschaft in Israel. Das war kein leichtes Match, oder?
Ich erinnere mich genau. Es war Nahariya gegen Bayern Hof. Israels Fußballverband hatte mich gefragt, ob ich Probleme damit hätte, dieses Spiel zu pfeifen. Nach kurzer Bedenkzeit sagte ich: »Nein, überhaupt nicht.« Damit hatte wohl keiner gerechnet. Aber ich bin nun mal Fußballschiedsrichter und nicht Richter in einem Tribunal gegen Deutschland.
Das sah aber ein Großteil der israelischen Öffentlichkeit damals ganz anders.
Ja, es gab wütende Proteste, und ich wurde für meine Entscheidung offen angefeindet. Ein Mann, der als Kind den gelben Stern tragen musste und einen Großteil seiner Familie in der Schoa verloren hat, darf doch nicht einem deutschen Fußballer vor dem Anpfiff die Hand schütteln, hieß es. Und dass ich dann auf dem Platz neutral zu sein habe, die deutsche und die israelische Mannschaft gleich behandeln muss, das ging damals erst recht nicht in viele israelische Köpfe hinein. Ich habe es trotzdem gemacht und erst viel später gemerkt: Das Spiel war der größte Tag in meinem Schiedsrichterleben.
Wie haben Ihre Eltern reagiert, als die erfuhren, dass Sie freiwillig bei einem Spiel mit deutscher Beteiligung pfeifen?
Gar nicht, Sie haben geschwiegen. Und das war für beide Seiten wohl das Beste.
Mit dem Spiel von Bayern Hof begann Ihre fast schon wundersame Schiedsrichter-Beziehung zu Deutschland.
Das kann man wohl sagen. Ich pfiff danach fast alle Spiele von Borussia Mönchengladbach, die in den 70er-Jahren oft zu Freundschaftsspielen nach Israel reisten. Der damalige Gladbacher Kapitän Günter Netzer hatte sogar ausdrücklich gewünscht, dass ich diese Spiele leite. Dann wurde ich 1978 in dem legendären WM-Match Österreich gegen Deutschland in Argentinien eingesetzt. Und beim Weltmeisterschafts-Endspiel Deutschland gegen Italien 1982 in Spanien amtierte ich als Linienrichter. Beide Spiele haben die Deutschen übrigens verloren.
Was aber nichts mit Ihnen zu tun hatte. Ihre Leistungen galten als tadellos. Aber stellte Sie ein Match Deutschland gegen Österreich nicht vor ganz besondere Herausforderungen?
Ja, denn ich hatte ein Spiel zu pfeifen, in dem gleich zwei Täterländer gegeneinander kickten. Zudem fand es im argentinischen Cordoba statt. Ich bekam dort schnell zu spüren, dass die starke jüdische Gemeinde von Buenos Aires nicht wirklich glücklich damit war, dass gerade ich diese Auseinandersetzung zu leiten hatte, nach dem Motto: »Wie kannst du nur?« Aber ich war vom Fußballweltverband FIFA nominiert worden und musste meinen Job machen.
Hatten Sie eine Strategie, damit Sie nicht Gefahr laufen, »politisch« zu pfeifen?
Für mich als Schiedsrichter galt immer: Politik und Gefühle lasse ich zu Hause. Wenn ich auf dem Platz stehe, muss ich alle Spieler gleich behandeln, egal woher sie kommen. Ich sehe die Fußballer immer nur als Fußballer, nicht als Repräsentanten einer Täter- oder Opfernation.
Dennoch holte Sie bei der Fußball-WM 1974 in Deutschland die Politik ein.
Leider. Ich rechnete fest mit meiner Nominierung für dieses große Turnier. Ich hatte international einen guten Namen und war ja bei der WM in Mexiko 1970 auch schon dabei. Anfang 1974 teilte mir die FIFA jedoch mit, mich nicht zu berücksichtigen. Und zwar, weil sie wegen des Anschlags auf das israelische Olympiateam in München zwei Jahre zuvor nicht für meine Sicherheit garantieren konnte und wohl auch wollte.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe das akzeptiert. Es blieb mir ja auch gar nichts anderes übrig.
Das Gespräch führte Torsten Haselbauer.