Herr Pfennig, die Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) hat vor Kurzem die Arbeitsdefinition der IHRA zum Antisemitismus angenommen. Wie kam es dazu?
Makkabi kam Ende vergangenen Jahres in Person von Herrn Meyer auf die DFL zu mit der Anregung, die IHRA-Arbeitsdefinition zum Antisemitismus zu übernehmen. Das haben wir auf den Weg gebracht, denn das Engagement gegen Antisemitismus ist Teil unseres Selbstverständnisses. Es ist gut, dass auch Bundesliga-Klubs hier in Deutschland sowie Fußballverbände und -ligen weltweit die Definition zwischenzeitlich übernommen haben. Die DFL hat die Definition in einer Mitgliederversammlung der 36 Klubs der Bundesliga und 2. Bundesliga im März einstimmig beschlossen.
Was bedeutet dieser Beschluss konkret?
Pfennig: Dass wir unser Engagement stärken und den Beschluss in der Praxis weiter mit Leben füllen.
Woher rührt die plötzliche Aufmerksamkeit der Bundesligaklubs für dieses Thema?
Pfennig: Das Problembewusstsein ist vorhanden. In den vergangenen Jahren hat der deutsche Fußball an verschiedenen Stellen immer wieder klar Flagge gezeigt im Kampf gegen den Antisemitismus. Zum Beispiel mit Blick auf zahlreiche Aktionen am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, die mittlerweile auch in der breiten Öffentlichkeit Beachtung finden. Einige Vereine sind darüber hinaus selbst sehr aktiv, organisieren unter anderem Fahrten in ehemalige NS-Konzentrationslager. Und auch Fangruppen engagieren sich mit wichtigen Aktionen. Es ist also ein gemeinsames Anliegen. Insofern ist die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition eine gute Fortentwicklung. Wenn man gegen Antisemitismus vorgehen will, ist es unabdingbar, zunächst einmal zu definieren, was das genau ist. Auch, um Relativierungen bereits im Vorhinein zu begegnen.
Gerade in Fußballstadien kommt es immer wieder zu judenfeindlichen Vorfällen.
Pfennig: Auch der Fußball ist keine heile Welt. Er ist Bestandteil dieser Gesellschaft, und deshalb muss er auch mit den Problemen dieser Gesellschaft fertig werden – und diese angehen. Das ist unsere Aufgabe.
Herr Meyer, wie weit sind antisemitische Stereotype im Sport verbreitet?
In meiner Wahrnehmung ist das Antisemitismusproblem des Sports vor allem eines des Fußballs. Die meisten Vorfälle ereignen sich eher selten beim Volleyball oder beim Schach, sie sind vor allem im Fußball ausgeprägt. Bei den Aktiven betrifft das eher die unterklassigen Mannschaften und Ligen, während sich im Profibereich die Spieler eher diszipliniert verhalten und das Problem meist von Fans und Zuschauern ausgeht. Wobei man dennoch erkennen kann, dass einzelne Spieler der 1. und 2. Bundesliga – und hier kommt die DFL ins Spiel – in den sozialen Netzwerken mit befremdlichen Äußerungen auf sich aufmerksam machen. So hat letztes Jahr ein Spieler von Greuther Fürth ein Foto mit einer Landkarte Palästinas auf Facebook gelikt, auf dem Israel gar nicht vorkam. Manchmal wissen sie gar nicht, was sie aufgrund ihrer Reichweite auslösen können. Und es hat auch schon Fälle israelischer Fußballer gegeben, die von ihren Vereinen nicht auf Trainingslager in arabischen Ländern mitgenommen wurden, weil sie dort als Israelis keine Einreisegenehmigung erhielten.
Aber sind Fußballstadien der richtige Ort, um solche Probleme zu lösen? Oder sollte das nicht eher die Politik und die Zivilgesellschaft angehen?
Meyer: Wir sehen gerade den Sport als wichtiges und geeignetes Tool an, um Sportlern, Vereinsmitgliedern und Fans demokratische Werte zu vermitteln. Wir sind seit rund einem Jahr Teil des Programms »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums und haben im Rahmen dessen das Projekt »Zusammen1 – Für das, was uns verbindet!« ins Leben gerufen und uns in dem Zusammenhang intensiv damit beschäftigt, wo genau die Problematik liegt. Wir sind zu dem Ergebnis gelangt, dass auf allen Ebenen des organisierten Fußballs dringender Handlungsbedarf besteht.
Was sollte nach der Annahme der IHRA-Definition durch die DFL jetzt geschehen?
Meyer: Es gilt vor allem, zunächst einmal zu besprechen, was Antisemitismus bedeutet und wie man ihn erkennen kann. Allein schon, dass die DFL das nun in ihre Statuten aufnehmen will, halten wir für bahnbrechend. Das zeigt, dass man das Demokratieverständnis im und durch den Sport aktiv fördern kann. Ich würde sogar sagen, dass man es fördern muss. Jedenfalls betrachten wir das als wichtigen Impuls. Damit wendet sich der deutsche Fußball nicht nur gegen Ausgrenzung und Gewalt. Er tritt auch aktiv und positiv für die Demokratie und ihre Werte ein.
Herr Pfennig, wie geht die DFL mit antisemitischen Vorfällen im Stadion um?
Das ist relativ klar geregelt: Es gibt gesetzliche Regelungen, Stadionordnungen und die Sportgerichtsbarkeit, um Vorfälle zu ahnden – kurzum: Es gibt bereits die nötigen Sanktionsinstrumente, um damit umzugehen. Ebenso wichtig in diesem Zusammenhang ist der ständige Austausch und Dialog zwischen Verbänden und Vereinen einerseits und Fangruppen, Ordnern und Polizei andererseits. Prävention durch Bildungs- und Aufklärungsarbeit ist unerlässlich. Dennoch gilt: Wir müssen auf jeden einzelnen antisemitischen Vorfall in aller Deutlichkeit reagieren. Und klar ist auch: Wir können immer noch besser werden.
Gibt es schon konkrete Kampagnen oder Initiativen der DFL?
Pfennig: Es wird darum gehen, die IHRA-Definition in die bestehende Arbeit zu integrieren. Es gibt verschiedene Ansätze, unter anderem in der Fanarbeit und in den Nachwuchsleistungszentren. Und natürlich: Ein ganz wesentlicher Teil ist, auch in der Öffentlichkeit Haltung zu zeigen.
Meyer: Auf unserer Seite gibt es ein fachlich versiertes Team, das mit seinem Konzept die Deutsche Fußball Liga unterstützen wird. Wichtig ist auch, dass wir ein funktionierendes Reporting-Netzwerk in deutschen Profistadien hinbekommen. Antisemitische Vorfälle müssen konsequent erkannt und geahndet werden. Und die 36 Profiklubs mitsamt ihres Lizenzspielerkaders sollten präventiv auf die Problematik aufmerksam machen und Handlungsstrategien aufzeigen.
Pfennig: Wir können noch erfolgreicher sein, wenn wir innerhalb des bestehenden Netzwerks des Fußballs noch enger zusammenarbeiten. Wir sind daher auch im Austausch mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), der ja ebenfalls die IHRA-Definition angenommen hat und neben dem Amateurbereich auch die Sportgerichtsbarkeit verantwortet.
Wie ist diesbezüglich die Zusammenarbeit mit Israel?
Meyer: Leider haben wir in der Bundesliga noch viel zu wenige israelische Spieler. Und wenn Vereine vor der Frage stehen, ob sie sich einen israelischen oder vielleicht doch lieber einen nichtisraelischen Profi holen sollen, drücken sie sich vielleicht instinktiv davor, den israelischen auszuwählen, weil sie potenzielle Probleme wie die von Einreisegenehmigungen bei Trainingslagern im Ausland vermeiden wollen. Dennoch muss ich sagen, dass viele Klubs sich der Problematik des israelbezogenen Antisemitismus mittlerweile durchaus bewusst sind.
Pfennig: Die Bundesliga hat langjährige Beziehungen zu Israel. Borussia Mönchengladbach pflegt bereits seit den 70er-Jahren engen Kontakt. Bayern München hat einen großen, sehr aktiven Fanklub in Israel. Borussia Dortmund engagiert sich nicht nur für Yad Vashem, sondern insgesamt für jüdisches Leben in Deutschland und Israel. Die Deutsche Fußball Liga pflegt neben den sportlichen auch geschäftliche Beziehungen in Israel. Es ist ja bekannt, dass das Land mit Blick auf digitale Innovationen zu den weltweit führenden Staaten zählt. Wir sind an zwei Start-ups dort beteiligt. Da geht es zum Beispiel um Spielertracking auf Basis Künstlicher Intelligenz. Diese guten Beziehungen sind auch für mich persönlich sehr bereichernd. Ich mag die positive Energie, die Kreativität und die Direktheit im Austausch sehr.
Mit dem Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Fußball Liga (DFL) und dem Präsidenten von Makkabi Deutschland sprach Michael Thaidigsmann.