Halbstündlich vermelden die Nachrichten im Autoradio Neues von rechtsextremistischen Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte in der Nacht zuvor. Die Fahrt geht nach Jamel in der Nähe von Wismar. Der Wagen verlässt die Autobahn und fährt über eine gewundene Pappelallee. Dann biegt er auf einen schmalen Feldweg ein, der sich durch die sanfte mecklenburgische Hügellandschaft schlängelt.
Ankunft in Jamel. Eine Handvoll Häuser, in der Dorfmitte findet sich an einer weinrot bemalten Wand ein Gemälde mit Inschrift, das den Ort in die internationalen Medien gebracht hat: »Dorfgemeinschaft Jamel. frei – sozial – national«.
gitarre Schon von der Hofeinfahrt aus hört man Gitarrenklänge. Horst Lohmeyer sitzt unter dem Sonnenschirm und beschallt die Nachbarschaft mit »Smoke on the Water«. Der Klang trägt weit, denn die Scheune, die zwischen Haus und Straße stand und den Schall dämpfte, ging bei einem Brandanschlag in der Woche zuvor in Rauch auf. Daher auch die Liedauswahl. Vermutlich kann man in Jamel nur mit einer gehörigen Portion Sarkasmus überleben.
Seit dem Brandanschlag überwacht ein Polizeiwagen das Dorf rund um die Uhr. Hätte der Wind ein wenig anders gestanden, wäre auch das Wohnhaus nicht mehr zu retten gewesen. So aber kann Horst Lohmeyer im Schatten seines alten Forstamtes sitzen und auf die frisch planierte Fläche blicken, die einmal eine 200 Quadratmeter große Scheune war.
Die Aufräumarbeiten mussten schnell passieren, denn das Gelände soll am Wochenende für die Besucher von »Jamel rockt den Förster« wieder sicher begehbar sein, ein Musikfestival für Demokratie und Toleranz. In der abgebrannten Scheune hatten die Lohmeyers Bänke, Zelte und Elektrik für das Festival gelagert. All das muss nun schnellstmöglich ersetzt werden.
»Es war nicht so leicht, hier ein Abrissunternehmen zu finden«, sagt Horst Lohmeyer und lächelt vieldeutig. Denn das Abbruchunternehmen im Dorf wird von dem landesweit berüchtigten Neonazi Sven Krüger betrieben. Das Firmenlogo zeigt einen Arbeiter, der mit einem Hammer einen Davidstern zertrümmert. Krüger wohnte schon in Jamel, als die Lohmeyers vor elf Jahren aus Hamburg-St. Pauli hierherzogen. Ein Alterssitz sollte das Forstamt für sie werden, auch Kulturort und Begegnungsstätte. Beide sind Künstler, sie Autorin, er Musiker, sie verliebten sich in die Landschaft, das Haus, die Nähe zur Ostsee.
Symbol »Wisst ihr eigentlich, wen ihr da als Nachbarn haben werdet?«, fragten Freunde der beiden, als sie das Haus erwerben wollten. »Wir dachten, ein einzelner Nazi kann nicht so schlimm werden«, berichtet Birgit Lohmeyer, wie sie damals dachten. »Hätten wir gewusst, wie es sich entwickelt, wären wir wohl nicht hergezogen.« Doch mittlerweile gibt es kein Zurück mehr, auch und erst recht nicht nach dem Brandanschlag. Die Lohmeyers sind unversehens zum Symbol geworden: ein mutiges Paar, das sich dagegen stemmt, dass Rechtsextremismus normal wird in diesem Land. Mehrfach wurden sie für ihre Zivilcourage ausgezeichnet, 2011 auch mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland.
»Einpacken entspräche nicht unserer Natur«, sagt Horst Lohmeyer. Es würde sich auch zu sehr nach Kleinbeigeben anfühlen, nach Kapitulieren. Das Paar hält mittlerweile Vorträge zum Thema Rechtsextremismus, wird an Schulen eingeladen, um mit Klassen zu sprechen. Das Durchhalten ist zum Prinzip geworden.
»Für uns war sofort klar, dass wir weitermachen«, berichtet Horst Lohmeyer darüber, wie sie auf den Anschlag reagierten. Er spaziert über das Gelände und erreicht eine wunderschöne Lichtung, wo ab Freitag ihr »Jamel rockt den Förster«-Festival stattfinden soll. Überall liegen noch die verkohlten Halme des Reetdachs herum.
Zahlreiche Unterstützer haben Hilfe angeboten. So viele, dass es gar nicht zu verkraften war. Es gibt ein Spendenkonto für den Wiederaufbau der Scheune. Die Anteilnahme ist groß, denn vielen geht es nahe, dass es Menschen gibt, die sich so mutig wehren. Auf dem Dorfplatz hat der NDR eine Holzhütte aufgebaut, eine Langzeitdokumentation zum Thema »Heimat« wird gedreht. Die Lohmeyers sehen das mit gemischten Gefühlen, denn irgendwann sind Medien und Polizeiwagen wieder verschwunden, und sie bleiben mit den Nachbarn in Jamel zurück.
Unter den alten Bäumen neben der Wiese hat es sich eine Mutter mit Kind im Schatten bequem gemacht, Feriengäste der Lohmeyers. »Kein einziger hat die Buchung storniert, obwohl wir das nach dem Brand natürlich verstanden hätten. Aber bis zum Saisonende wollen alle kommen«, sagt Horst Lohmeyer.
solidarität Auch das ein Zeichen von Solidarität. Überhaupt, wenn man von Jamel und den Lohmeyers spricht, dann ist es nicht nur die Geschichte eines mutigen Paares, das sich nicht von Nazis vertreiben lässt. Es ist auch eine Geschichte über Solidarität, Hilfsbereitschaft und Anerkennung, die beide in ihrem unfreiwilligen Kampf erfahren. Auch von den Künstlern des diesjährigen »Jamel rockt den Förster«-Festivals hat keiner abgesagt.
Sie machen das Leben erträglicher inmitten von Nachbarn, die sich nicht entblöden, jedes Mal winkend am Straßenrand zu stehen, wenn die Lohmeyers das Dorf verlassen. Das Leben mit zerstochenen Autoreifen oder mit Gülle, die in die Einfahrt gekippt wurde. Elf Jahre voller kleiner und größerer Schikanen, offener Drohungen und Psychospielchen, die man den beiden äußerlich nicht anmerkt. Trotzdem verändere sich natürlich das Verhalten, erzählen sie. Man guckt genauer, wohin man geht, wer noch da ist, wo vielleicht die nächste Polizeiwache oder der beste Fluchtweg ist.
Wie eng die Vernetzung hier auf dem Land ist, haben die Lohmeyers erst langsam lernen müssen. Wenn es nicht offene Unterstützung der Nazis ist, so doch zumindest schweigende Zustimmung. »Es gibt hier ja nur eine Schule, da kennt jeder jeden.« Es war ein jahrelanger Prozess der Sensibilisierung, des Verstehens der rechten Strukturen, den die Lohmeyers durchlaufen haben, weil sie zufällig im Vorzeigedorf der Nazis gelandet sind. Andere Zugezogene haben aufgegeben, wurden systematisch vertrieben auf dem Weg zur »national befreiten Zone«. Auch damals gab es Brandanschläge.
Die verkohlten Balken der Scheune liegen nun fein säuberlich aufgeschichtet am Rand des Grundstücks, daneben die metallenen Beschläge und Rahmen. Der mit dem Paar befreundete Künstler Wolfgang Warnke wird daraus eine Installation als Mahnmal konstruieren. Den Rest werden die Lohmeyers im Winter verfeuern.
Erst einmal gilt es, das Festival zu stemmen. Nach dem Anschlag haben sich viele zusätzliche Besucher angekündigt. »Wir hoffen, dass es nicht mehr als 1000 werden«, sagt Birgit Lohmeyer. Dann müssten Besucher abgewiesen werden, und das will das Paar nicht. Wenn es nach ihm geht, soll in Jamel jeder willkommen sein.
Musikfestival
»Jamel rockt den Förster« heißt das Festival, das Birgit und Horst Lohmeyer seit 2007 auf ihrem alten Forsthof organisieren. In diesem Jahr findet es am 28. und 29. August statt – trotz des Anschlags. Es spielen Bands wie »Eisbrenners Latinoconexion«, »Callin Tommy«, »Chawa Lilith Band« oder »Das Kartell«. Tickets gibt es nur an der Tages- bzw. Abendkasse.
www.forstrock.de