Anderthalb Jahre nach seinem Geständnis ist Gil Ofarim erneut an die Öffentlichkeit getreten. Er hat lange mit dem »Stern« gesprochen, aber die Erkenntnis des Interviews ist kurz: Ofarim will nun nur unter Druck gestanden haben, einen Hotelmitarbeiter in Leipzig fälschlicherweise des Antisemitismus beschuldigt zu haben. Doch Beweise, dass er tatsächlich im Oktober 2021 in der Lobby beleidigt worden war, legte Ofarim nicht vor.
Für viele ist Ofarims Vorgehen nur schwer nachvollziehbar. Manche machen den Sänger sogar dafür verantwortlich, dass Antisemiten nun jemanden haben, auf den sie mit dem Finger zeigen können. Das sieht er sogar selbst so: Er habe ihnen »einen Grund gegeben, ihren Antisemitismus bestätigt zu sehen«, so Ofarim. Aber Antisemiten brauchen in der Regel keinen Anlass.
Egal, ob Ofarim nun gelogen hat oder nicht – der Fall zeigt exemplarisch, dass potenzielle Opfer von Antisemitismus es schwer haben. Er zeigt, dass judenfeindliche Sprüche kaum zu beweisen sind – selbst dann nicht, wenn Überwachungskameras mitlaufen. Er zeigt, dass viele glauben, Judenhass sei in bestimmten Milieus undenkbar: So sagte ein Richter, er könne sich so etwas »in einem hochklassigen Hotel schwer vorstellen«.
Er zeigt, wie eilig solche Vorwürfe pauschal ausgeräumt werden. So sagte ein Gutachter nach dem Prozess, er sei froh, dass seine Analyse »den Makel beseitigen konnte, der auf Sachsen lag« – während im Freistaat drei bis vier antisemitische Vorfälle pro Woche registriert werden. Und letztendlich zeigt er, was passiert, wenn ein Jude in der Öffentlichkeit einen großen Fehler macht: Gil Ofarim ist nicht einfach »gecancelt« worden. Er wurde nach den Vorwürfen judenfeindlich bedroht, zusammengeschlagen, brauchte Polizeischutz.
Wer meint, nach dem Fall Ofarim könne man die mehr als 5000 antisemitischen Straftaten, die allein im vergangenen Jahr in Deutschland gemeldet wurden, anzweifeln, war schon vorher Antisemit. Juden zu glauben, ist wichtiger denn je.
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