Mit dem Beschließen einer Arbeitsdefinition Antisemitismus hat die scheidende Bundesregierung ihr Engagement gegen den Hass auf Juden noch einmal bekräftigt. Das ist richtig und notwendig, weil Antisemitismus immer noch ein großes Problem ist, das auch in absehbarer Zeit nicht kleiner werden wird.
Daher ist dieses Signal der höchsten politischen Instanz besonders wichtig. Dass es Kritik an der Definition gibt, ist nicht unbedingt schlecht. Schließlich lässt sich die Grauzone zwischen legitimer Kritik an Israels Politik und israelbezogenem Antisemitismus nicht einfach mit einer Checkliste klären. Auch nicht per Regierungsbeschluss.
diskriminierung Wenn jetzt jedoch eine offen rassistische Partei in Ostdeutschland zur zweitstärksten, in Sachsen gar zur stärksten politischen Kraft werden konnte, ist offensichtlich, dass wir uns Diskriminierung entgegenstellen müssen. Wenn es in einer Gesellschaft, die sozioökonomisch und politisch eine der stabilsten der Welt ist, geschehen konnte, mit dem Beschwören einer vermeintlichen Islamgefahr Ängste zu schüren, muss man für den Fall einer wirklichen Krise tatsächlich das Schlimmste befürchten.
Angesichts der politischen Zäsur, die diese Wahl darstellt, erscheinen Kämpfe um die genaue Definition der besagten Grauzone nicht mehr so relevant. Hier und jetzt geht es um die gemeinsame Aufgabe, antimuslimische und antisemitische Strömungen zu bekämpfen.
rechtspopulismus Es ist jetzt an der Zeit, gemeinsam nachzudenken: Staat, Zivilgesellschaft, Juden, Muslime – wir alle. Welchen Beitrag haben wir zum Erstarken des Rechtspopulismus geleistet? Wie sind wir mit Muslimen umgegangen, die Hauptangriffsziel der Rechten sind?
Die neue Bundesregierung muss dringend die Forderungen des Expertenkreises Antisemitismus umsetzen. Das heißt: Projekte, die sich der Bekämpfung von Judenhass widmen, müssen gesichert werden. Und: Ein Antisemitismusbeauftragter muss berufen werden. Von der Person, die dieses wichtige Amt übernimmt, erwarten wir auch die nötige Sensibilität gegenüber antimuslimischen Entwicklungen in Deutschland.
Der Autor ist Direktor der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) in Berlin.