Frau Cahen, Ihr kleines Land hat seit Anfang September mehr als 500 Flüchtlinge aufgenommen. Sie sind als Ministerin für diese Menschen zuständig. Geht Ihnen deren Schicksal auch persönlich nahe?
Ich gehöre zur ersten Generation nach der Schoa und bin mit den schrecklichen Geschichten aufgewachsen. Meine Tante hat immer davon erzählt, wie sie Luxemburg mit dem letzten Transport verließ. Das war im Januar 1941, sie hatte Todesangst. Ähnlich geht es sicherlich den Leuten, die heute fliehen müssen. Ich glaube, es ist das Normalste der Welt, dass man ihnen beisteht, denn sie kommen aus Kriegsgebieten. Wenn meinem Vater vor 75 Jahren niemand geholfen hätte, würde es mich nicht geben. Dass den Flüchtlingen geholfen werden muss, sehe offenbar nicht nur ich so, denn die Mitglieder der jüdischen Gemeinde gehörten jetzt mit zu den Ersten, die Flüchtlingen Hilfe angeboten haben.
Sie planen Containerdörfer für mehr als 1300 Menschen für die Erstaufnahme. Wie sollen all die Flüchtlinge integriert werden?
Wichtig ist, ihnen so schnell wie möglich klarzumachen, wo sie hier eigentlich sind. Viele wissen nicht, wo Luxemburg liegt, sie kennen zwar Deutschland, aber nicht Luxemburg. Wir sprechen hier drei Sprachen, und es ist wichtig, den Flüchtlingen dies beizubringen, eine Verständigung zu ermöglichen und die Kinder direkt in die Schule zu schicken. Das Allerwichtigste für die Integration ist Bildung.
Auch Luxemburgs muslimische Gemeinde kümmert sich derzeit um Flüchtlinge. Sehen Sie eine Gefahr, dass dabei auch für islamistische Ideen geworben wird?
Wenn die Flüchtlinge den Krieg lieben würden, wären sie sicherlich in Syrien geblieben. Die Leute, die im Moment bei uns ankommen, stammen aus der gehobenen Mittelklasse. Sie mussten viel Geld haben, um es nach Europa zu schaffen, denn die Schlepper wollten bezahlt werden. Viele Flüchtlinge haben studiert und in guten Berufen gearbeitet. Sie werden sich hoffentlich schnell integrieren. Und das Beispiel der Attentäter von Paris zeigt: Dies waren keine Flüchtlinge, sondern sie lebten seit ihrer Geburt in Frankreich. Heute können sich auch Luxemburger oder Deutsche irgendwann radikalisieren.
Viele Syrer sind mit antisemitischen Klischees aufgewachsen. Befürchten Sie daher nicht auch judenfeindliche Einstellungen unter den Flüchtlingen?
Auch da glaube ich, dass Bildung das A und O ist. Ich amüsiere mich manchmal, wenn Menschen aus Syrien bei der Ankunft zu mir sagen: »We’re so happy, you’re the sunshine« und ich sie dann damit konfrontiere, dass ich jüdisch bin. Ich tue es nicht direkt, aber wenn ich mit ihnen rede und sie erzählen, dass sie halal essen, dann sage ich: »Ich esse auch kein Schweinefleisch, weil ich jüdisch bin«. Bisher hat mir noch keiner den Hals umgedreht oder auch nur komisch geguckt. Ich denke, man muss mit einer gewissen Gelassenheit an die Dinge herangehen. Ich bin immer der Meinung, dass das Menschliche dominieren muss.
Mit der luxemburgischen Integrationsministerin sprach Anina Valle Thiele
Interview