Vor knapp drei Wochen wurden mein Freund und ich auf dem Weg zu einem Schabbat-Dinner von anti-israelischen Demonstranten in Mitte angegriffen, als wir kurz anhielten, um ein Eis zu bestellen. Wir saßen vor dem Eiscafé, als ein offiziell genehmigter Autokorso für Palästina durch die Torstraße fuhr. An der Spitze dieser Demonstration filmten einige ihrer Teilnehmer diejenigen am Straßenrand, die nicht daran teilnahmen.
Da ich nicht gefilmt werden wollte, blickte ich nach unten, und mein Freund bedeckte sein Gesicht mit der Hand, wobei er den Mittelfinger ausstreckte. Kurz darauf stoppte einer der Demonstranten, die Unbeteiligte ungefragt gefilmt hatten, und näherte sich uns beiden bedrohlich.
Demonstranten filmten, ohne zu fragen
Sofort fing er an, uns ins Gesicht zu brüllen. »Free Palestine, fuck you, fuck you!«, skandierte er immer wieder. Mein Partner versuchte, die Situation zu deeskalieren, indem er ganz ruhig darauf hinwies, dass wir keinerlei Probleme mit der Demonstration hätten. Nur wollten wir einfach nicht ungefragt gefilmt werden.
Daraufhin näherte sich uns ein weiterer Mann, von dem wir aufgrund seiner gelben Sicherheitsweste annahmen, dass es sich bei ihm um einen Ordner handeln müsste. Für einen kurzen Moment waren wir erleichtert und glaubten, er würde die Situation wieder unter Kontrolle bringen. Genau das Gegenteil geschah dann aber. Stattdessen rief man eine Gruppe von zehn bis 15 Männern herbei, die allesamt sofort anfingen, uns auf Deutsch und Arabisch anzubrüllen.
Man drohte uns beiden mit Vergewaltigung und Prügel.
Man drohte uns beiden explizit mit Vergewaltigung und Prügel. Mein Freund stellte sich daraufhin schützend vor mich. Da er wusste, dass ich eine Kette mit Davidstern trage, befürchtete er, dass diese hochaggressive Gruppe sie womöglich sehen und eventuell Videos und Fotos von uns in ihren Telegram-Kanälen verbreiten könnte.
Als dann ein älterer Mann, der mich ebenfalls filmte, meine Davidstern-Halskette sah, begann er, mich anzuspucken, woraufhin ich reflexartig mein Eis nach ihm warf. Nun zerbrachen die Angreifer unsere Bierflaschen, schlugen meinen Freund in die Seite, packten ihn an den Haaren und hauten seinen Kopf auf den Boden. Dabei haben sie sich die ganze Zeit selbst gefilmt. Ich wollte ihn mit meinem Körper schützen, und erst dann ließen sie von ihm ab.
Wir sind Amerikaner, die seit über fünf Jahren in Berlin leben
Wir sind beide Amerikaner, die seit über fünf Jahren in Berlin leben. Immer wieder wurde ich nach diesem Vorfall auf der Torstraße gefragt, ob mich das alles überrascht hätte. Ich muss darauf antworten, dass das Einzige, was mich wirklich überrascht hat, die Tatsache ist, dass die Menschen in Berlin offensichtlich nicht wissen, was tagtäglich in ihrer Stadt passiert.
Als ein älterer Mann, der mich filmte, meine Davidstern-Halskette sah, begann er, mich anzuspucken
Seit dem 7. Oktober 2023 gibt es jede Woche Berichte über solche Vorfälle, bei denen Juden oder Israelis angegriffen und geschlagen wurden oder in irgendeiner Form Diskriminierungen erfahren mussten. Israelische Restaurants werden verwüstet, jüdische Frauen sind bei Queer-Paraden plötzlich nicht mehr willkommen, und israelische Veranstaltungsproduzenten werden in der Techno-Szene offen boykottiert.
Der Comedy Club, in dem ich früher selbst aufgetreten bin, hat auf Instagram deutlich gemacht, wo er politisch steht. Die Dichterlesung, die wir früher häufig besucht haben, heißt nun niemanden aus dem »zionistischen Gebilde« mehr willkommen. Und die jüdischen Drag-Künstler haben ihre Auftritte für den Rest des Jahres abgesagt. Man hoffe, dass es nächstes Jahr vielleicht besser wird.
Mittlerweile fahre ich nur noch nach Neukölln oder Kreuzberg, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Um die täglichen Demonstrationen mache ich ebenfalls einen Riesenbogen. Und die omnipräsenten Graffiti, die Israel und seine Menschen verteufeln, versuche ich, soweit das überhaupt geht, zu ignorieren.
Offensichtlich sind wir in den linken und progressiven Milieus, die uns alle einst angezogen hatten, nicht mehr willkommen. War das wirklich eine Überraschung oder nur eine Frage der Zeit? Während Juden wieder einmal an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und gezwungen sind, ihre Identität aus Angst vor Gewalt und Ausgrenzung zu verbergen, ist es dazu auf den Straßen Berlins auffallend still.
Niemand, der Zeuge davon war, wie die Demonstranten uns angriffen, hat interveniert oder seine Hilfe angeboten.
Niemand, der Zeuge davon war, wie die Demonstranten uns angriffen, hat interveniert oder seine Hilfe angeboten. Keiner rief die Polizei. Mein Freund lag inmitten eines Scherbenhaufens und versuchte verzweifelt, sich zu schützen, während ich die Polizei holte. Diese musste uns wegen des aggressiven Mobs, der draußen weiterhin hasserfüllte, anti-israelische Parolen brüllte, erst einmal in die Eisdiele in Sicherheit bringen. Dabei liefen Passanten völlig indifferent einfach weiter an allem vorbei, ohne überhaupt zu reagieren. Einige kamen sogar in das Café und bestellten einfach ein Eis.
Ob wir in Berlin bleiben wollen, ist nicht die Frage. Die Frage ist, wohin wir sonst gehen könnten
Die Verantwortlichen in Deutschland mögen den Antisemitismus vielleicht ernst nehmen. Aber das überträgt sich nicht auf die Menschen, die tatsächlich hier leben.
Ob wir in Berlin bleiben wollen, ist aber nicht die Frage. Die Frage ist, wohin wir sonst gehen könnten. Israel ist ein Land im Krieg, ist es wirklich sicherer dort? Die USA sind auch keine bessere Wahl: Dort gibt es Gewalt in den Städten, Proteste auf dem Campus und vor den Synagogen.
Also sitzen wir hier und warten. Hoffentlich machen wir nicht denselben Fehler wie unsere Großeltern – und warten zu lange. In unserer amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft, bestehend aus Nachkommen von Schoa-Überlebenden, werden wir immer gefragt: »Wie könnt ihr nur in Deutschland leben?« Und ich habe immer geantwortet, dass Deutschland der sicherste Ort für Juden außerhalb Israels ist. Die Deutschen stehen zu ihrer Geschichte. Das Schweigen auf den Straßen Berlins hat meine Antwort verändert.
Die Autorin publiziert aus Sicherheitsgründen unter einem Pseudonym. Der Redaktion ist ihr echter Name bekannt.