Die bewegendsten Worte kommen am Ende: Beim Gedenken an die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 richtet Ankie Spitzer ihre Rede an ihren getöteten Ehemann André. »Als sie dich ermordet haben, haben sie auch einen Teil von mir getötet und von den Leuten, die Dich liebten. Sie ermordeten unsere Hoffnungen, unsere Träume, unsere Zukunft, aber nicht meine Liebe für dich«, sagt sie am Montag in Fürstenfeldbruck, wo der elf Mitglieder des israelischen Olympiateams und des deutschen Polizisten gedacht wurde, die bei dem Anschlag palästinensischer Attentäter starben.
GEISELNAHME An jenem 5. September 1972 waren die Attentäter am frühen Morgen im Olympischen Dorf in die Wohnungen der Sportler eingedrungen, vor deren Türen jeweils die Namen der Bewohner auf Tafeln notiert waren. Die Palästinenser erschossen zwei Männer direkt vor Ort, neun weitere hielten sie stundenlang gefangen, bis zu ihrer Ankunft am späten Abend am Flugplatz in Fürstenfeldbruck.
Von dort aus wollten sie mit einer Maschine nach Kairo fliegen, in die Freiheit, das Ergebnis langwieriger, zermürbender Verhandlungen. Bei der Gelegenheit hofften Polizei und Politik, die Geiseln befreien zu können - doch die Aktion endete in einem Blutbad. Die schreckliche Bilanz des Tages: Elf tote Israelis, ein toter Polizist und fünf getötete Attentäter.
»Man hätte gedacht, dass das machtvolle Deutschland alles in seiner Kraft tun würde, um nicht erneut jüdisches Blut auf seinem ohnehin schon blutigen Boden zu vergießen«, fasst Ankie Spitzer das Entsetzen der Familien der Opfer in Worte.
Auch Israels Staatspräsident Isaac Herzog beschreibt sein Gefühl des Entsetzens, das er damals empfand. Man habe nicht fassen können, dass Sportler, Schiedsrichter und Trainer, Juden und Israelis auf deutschem Boden von Terroristen festgehalten werden. Und dann auch noch die zunächst verbreitete Falschmeldung, alles sei gut ausgegangen, die Geiseln in Sicherheit. Dann bald darauf der Schock: Alle tot. »Unsere Herzen wurden gebrochen, unsere Hoffnungen zerschlagen«, erinnert sich Herzog.
Wer war schuld, dass eine Befreiung der Geiseln misslang? Warum wurden die Attentäter nicht überwältigt? Warum kam es zu wilden Schusswechseln auf dem Flugplatz? Vieles ist bis heute nicht geklärt, Akten sind noch unter Verschluss. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nennt es dreifaches Versagen.
Die Gedenkzeremonie mit ernsten, klugen Reden, Gebeten und Musik ist ergreifend.
Die Geschichte des Olympia-Attentats sei »auch eine Geschichte von Fehleinschätzungen und von furchtbaren, von tödlichen Fehlern, ja, eines Versagens«, richtet er seine Worte an die Angehörigen: Die Vorbereitung der Spiele und das Sicherheitskonzept meint er damit ebenso wie die Ereignisse am 5. und 6. September selbst, als die Attentäter live im Fernsehen verfolgen konnten, was um sie herum geschah. Und schließlich: »das Schweigen, das Verdrängen, das Vergessen«.
FAMILIEN Ein Umstand, der vor allem den Familien stark zusetzte, die der Zeremonie in Fürstenfeldbruck zunächst fernbleiben wollten. Erst als die Bundesregierung zusicherte, ihr jahrzehntelanges Leid mit der Zahlung von insgesamt 28 Millionen Euro finanziell anzuerkennen, nahmen sie die Einladung an. Viele sind nun dabei, oft mit der Familie. Und auch wenn es in dem Festzelt heiß und stickig ist, ist die Gedenkzeremonie mit ernsten, klugen Reden, Gebeten und Musik doch feierlich und ergreifend.
»Ich bitte Sie als Staatsoberhaupt dieses Landes und im Namen der Bundesrepublik Deutschland um Vergebung für den mangelnden Schutz der israelischen Athleten damals bei den Olympischen Spielen in München und für die mangelnde Aufklärung danach; dafür, dass geschehen konnte, was geschehen ist«, sagt Steinmeier. Worte, die Herzog dankbar nimmt und die er »mutig« und »historisch« nennt.
Ob die Angehörigen der Opfer nun ihren Frieden machen können? »Der Schmerz ihrer Familien ist in all den Jahren nicht milder geworden. Weil die Wunden nicht heilen konnten. Weil dem Wut im Wege stand, Verzweiflung und Frust«, betont Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Auch Ankie Spitzer kann nicht abschließen, auch wenn sie das nun oft gefragt werde. »Sie verstehen nicht, dass es nie einen Abschluss geben wird. Das Loch in meinem Herzen wird niemals heilen.« dpa