Sie war hübsch, sie war elegant, sie hatte sich aus bitterarmen Verhältnissen hochgearbeitet, zur bekanntesten Modedesignerin der Welt. Aber Coco Chanel, deren Kostüme und deren Parfüm Millionen von Frauen glücklich machten, war im besetzten Paris eine Spionin der Nazis. Das behauptet ein neues Buch, Sleeping With The Enemy: Coco Chanel’s Secret War, von Hal Vaughan.
westminster Vaughan, ein amerikanischer Journalist, Dokumentarfilmer und Veteran des Zweiten Weltkriegs, lebt in Paris. Er schreibt, Gabrielle »Coco« Chanel habe als Agentin für die Abwehr, den deutschen Spionagedienst, gearbeitet, unter dem Codenamen »Westminster«.
Chanel war die Geliebte des 13 Jahre jüngeren Wehrmachtsoffiziers Hans Günther von Dincklage, mit dem die 58-Jährige während der Besatzung im Hotel Ritz lebte. Die beiden seien auf geheime Missionen nach Madrid geschickt worden, schreibt Vaughan. Dort hätten sie gar versucht, mit Churchill einen Friedensvertrag auszuhandeln, was scheiterte.
Die Firma Chanel – die Gründerin ist 1971 in Paris gestorben – wies die Anschuldigungen zurück. Coco habe zwar eine Affäre mit von Dincklage gehabt, das sei aber bekannt. Von Dincklage sei britischer Staatsbürger gewesen, und sie habe ihn schon vor dem Krieg gekannt. Im Übrigen habe Chanel jüdische Freunde gehabt, darunter die Rothschild-Familie.
Nicht ganz so befreundet war sie mit Pierre Wertheimer, dem das Parfümhaus Bourgeois gehörte, das Chanel No. 5 vertrieb. Sie glaubte, Wertheimer habe sie bei dem Vertrag übers Ohr gehauen. 1941 drängte sie die deutschen Besatzer, ihr die Rechte an Chanel No. 5 wiederzugeben.
flucht Nach dem Krieg wurde sie von einem französischen Richter verhört, aber die britische Königsfamilie – oder Churchill, da gehen die Berichte auseinander – soll ihre schützende Hand über sie gehalten haben. Da sie aber den Geheimdienst von de Gaulle gefürchtet habe, sei sie in die Schweiz geflüchtet.
In Lausanne habe sie neun Jahre mit ihrem Liebhaber verbracht. Sie kehrte in ein Paris zurück, das die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt hatte. Manche Pariser waren ihr zwar gram, aber Engländerinnen und Amerikanerinnen – darunter Jackie Kennedy – waren von ihr begeistert.
Vaughans Buch schlägt in Amerika Wellen. Für die Amerikaner ist die deutsche Besatzung Frankreichs eine Art nationaler Mythos; immerhin wurde Frankreich mit dem Sturm auf Omaha Beach von der US-Armee befreit. Hollywood-Filme aus dieser Zeit, der bekannteste Casablanca, hatten den französischen Widerstand in ein glorioses Licht getaucht. Auch zeitgenössische Filme wie Inglourious Basterds pflegen den Mythos der tapferen Résistance. Die schnöde Wahrheit ist, dass es in Frankreich viel mehr Nazi-Kollaborateure und Wehrmachtsfreiwillige gegeben hat als Widerstandskämpfer.
Aber Mythen sterben langsam. Und Coco Chanel, über die bereits 57 Bücher geschrieben wurden – ein weiteres, das sie als bisexuelle Drogennutzerin darstellt, wird vorbereitet –, hat ebenfalls mythische Qualitäten.
Viele Leser in Amerika zweifeln an dem Autor Hal Vaughan. Der aber versichert, er habe zuerst auch seinen Augen nicht getraut. »Aber ich war in vielen Archiven, von Washington bis Berlin, und habe zahlreiche Akten gefunden, die meine Recherchen stützen«, sagt er.