Als Yair Lapid am Sonntagabend in Berlin gelandet war, ging er die Gangway nicht allein hinunter, sondern untergehakt mit Shoshana Trister. Die 87-Jährige war eine von fünf Schoa-Überlebenden, die den israelischen Ministerpräsidenten bei seinem kurzen Besuch begleiteten. Sie erzählte später, dass sie den Anblick der Soldaten fürchtete, die als Ehrengarde zur Begrüßung am Flugzeug standen.
Lapid beruhigte sie mit den Worten: »Ich halte dich, du bist nicht allein.« Und nach dem gemeinsamen Gang über den Roten Teppich sagte Lapid: »Das ist ihr Sieg, meiner als Sohn eines Holocaust-Überlebenden und unserer als Volk und Nation. Wir werden niemals vergessen.«
kanzleramt Diesen Satz wiederholte der israelische Premier sinngemäß bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Montagmittag im Garten des Berliner Kanzleramts. Scholz und Lapid betonten dabei die freundschaftliche Beziehung beider Staaten und sprachen sich gegen Antisemitismus und das Vergessen der Schoa aus. Ein Thema waren auch die Äußerungen des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, der im vergangenen Monat im Kanzleramt Israel einen vielfachen »Holocaust« an den Palästinensern vorgeworfen und damit Empörung ausgelöst hatte.
Es sei offensichtlich gewesen, dass Scholz von den Äußerungen überrascht worden sei, sagte Lapid. »Ich habe dem Bundeskanzler gedankt, dass er danach reagiert hat auf das, was Abbas gesagt hat.« Die Äußerungen Abbas’ seien abscheulich, respektlos und schrecklich, so Lapid. Es besorge ihn, dass diese Ausdrucksweise sich auch in palästinensischen Schulbüchern finde. »Dieses schreckliche Schüren von Hass wird den Kindern beigebracht«, betonte Lapid. »Das muss die zivilisierte Welt angehen.«
Ausführlich äußerte sich der israelische Premier zu einem Thema, das auch zuvor bei den Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenministerin Annalena Baerbock zur Sprache gekommen war: die nukleare Bedrohung durch den Iran. »Die Rückkehr zu dem Nuklearabkommen unter den derzeitigen Bedingungen wäre ein entscheidender Fehler«, erklärte er. Es müsse über neue Strategien gesprochen werden, um das Nuklearprogramm des Iran zu stoppen. Scholz betonte, der Iran dürfe keine Atomwaffen erlangen. Doch halte man daran fest, dass es eine funktionierende internationale Vereinbarung zur Beschränkung und Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms brauche.
energiekrise Auch ging es um die aktuelle Energiekrise in Europa. Israel will nach Worten des Regierungschefs Lapid zur Linderung beitragen. »Wir können vielleicht Gasexporte nach Europa erhöhen, hoffentlich wird das nächstes Jahr möglich sein«, sagte er. Lapid sprach von einem »Teil der Bemühungen, russische Gaslieferungen nach Europa zu ersetzen«.
Einige hielten die militärische Partnerschaft für »eine Ironie der Geschichte«, sagte Lapid.
Und auch in der Frage der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik ist Israel bereit zu helfen. Vom Aufbau der strategischen Partnerschaft war die Rede. Einige hielten diese Kooperation für »eine Ironie der Geschichte«, merkte Lapid an und stellte dann klar: »Ich denke, das ist Ausdruck der Tatsache, dass wir die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Allein mit Worten kann man das Böse nicht aufhalten.« Liberale Demokratien müssten bereit und in der Lage sein, sich zu verteidigen.
wannsee-konferenz Am Nachmittag begab sich Lapid zu dem wohl emotionalsten Termin seines Besuchs. Gemeinsam mit den Schoa-Überlebenden empfing er Olaf Scholz am Haus der Wannsee-Konferenz. Es war ein historischer Moment: Fünf Überlebende, ihre Nachkommen, der Premierminister des Staates Israel und der deutsche Bundeskanzler stehen geeint vor jenem Haus, in dem hohe SS-Offiziere am 20. Januar 1942 den Mord an Millionen europäischer Juden bürokratisch planten.
Als Erster ergriff Lapid das Wort, der die bewegende Überlebensgeschichte seines Vaters Josef erzählte und sie mit den Worten beendete: »Er hat überlebt, eine Familie und einen Staat gegründet.« Zu Scholz und den Überlebenden sagte er: »Heute ist der deutsche Kanzler, der deutsche Staat, hierher, in diese Villa gekommen, wo das Böse ausformuliert wurde. Er ist gekommen, um euch zu ehren und um Vergebung zu bitten. Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Es erfordert nicht wenig moralische Courage.«
Scholz betonte, dass die Ungeheuerlichkeit des Verbrechens umso größer werde, wenn man wisse, auf welche Art und Weise dies geschehen sei, nämlich: »bürokratisch, pedantisch, mit Präzision«.
ERINNERUNGEN Dann erzählten die Überlebenden von ihren Erinnerungen. Unter ihnen war die 93-jährige, in Rumänien geborene Penina Katsir: »Wie Ziegen haben wir nach Blättern zum Essen gesucht«, dabei blickte sie ausschließlich zu Scholz, der nicht wegsah. »Heute hier zu sitzen, als Israeli, mit eigenem Land, mit meinem Premierminister: Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich fühle«, fuhr Katsir fort und lächelte.
Scholz hielt am Ende des Zusammentreffens fest: »Ich bin den Überlebenden des Holocaust, die heute hier waren, sehr dankbar, dass sie mit Premierminister Yair Lapid und mir gemeinsam darüber geredet haben, was diese furchtbare Vergangenheit uns für die Zukunft an Aufgaben hinterlässt.«