Oft sind es die kleinen Gesten, die hängen bleiben. Eine Handbewegung, ein Gesichtsausdruck. So war es auch bei der Reise von Bundespräsident Joachim Gauck nach Israel. Gleich sein erster offizieller Staatsbesuch führte ihn ins Heilige Land. Es sei ihm eine Herzensangelegenheit gewesen, so früh nach seiner Amtsübernahme dorthin zu reisen, sagte er.
Im jüdischen Staat wurde das klare Zeichen positiv aufgenommen. Präsident Schimon Peres hatte die Reise persönlich vom Antrittsbesuch zur offiziellen Staatsvisite aufgewertet. Mit militärischen Ehren und allem, was das Protokoll zu bieten hat, wurde der Gast aus Deutschland bei seiner viertägigen Reise begrüßt, die ihn am letzten Tag auch nach Ramallah zu Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Premier Salam Fayyad führt.
Freiheit Der israelische Präsidentenkollege hatte seinem Besucher die Ankunft leicht gemacht. In einer Ansprache vor dem Amtssitz betonte Peres die Vergangenheit des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers Gauck, »der sein ganzes Leben für die Freiheit gekämpft hat und immer geleitet war von seinem Gewissen«. Den Deutschen bescheinigte Peres, sich mit der Wahl dieses Bundespräsidenten »kompromisslos für Demokratie einzusetzen«.
Gauck antwortete, wie emotional dieser Moment für ihn sei. »70 Jahre nach dem von Deutschen am jüdischen Volk begangenen Menschheitsverbrechen der Schoa komme ich als höchster Vertreter der Bundesrepublik hierher.« Er spüre die Verantwortung und dankte Israel, dass es nach dem Holocaust eine Versöhnung gegeben hat. »Das wurde möglich, weil Israel uns Vertrauen schenkte.«
Das Eintreten für die Sicherheit und das Existenzrecht Israels sei für die deutsche Politik bestimmend. Für die Zukunft des eingefahrenen Friedensprozesses mit den Palästinensern sehe er nur einen Weg: »Ich bin überzeugt, dass dies auf Dauer nur durch eine von beiden Konfliktparteien direkt verhandelte ZweiStaaten-Lösung möglich ist«. Dazu müssten beide Seiten aufeinander zugehen und gegenseitig ihre Rechte anerkennen.
Yad Vashem Unmittelbar nach Ankunft war er gemeinsam mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, zum Grab von Ignatz Bubis gefahren. Es war sein besonderer Wunsch, die letzte Ruhestätte dieses »deutschen Patrioten« zu sehen.
Im Laufe des ersten Tages hatte Gauck, an seiner Seite seine Lebensgefährtin Daniela Schadt, in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Beim Rundgang durch die Ausstellung und die Halle der Namen zeigte der Präsident sich sichtlich ergriffen. Dabei war es nicht sein erster Besuch in Yad Vashem. Dieses Mal aber war er nicht als Privatperson hier, sondern als oberster Vertreter Deutschlands. Dass Gauck auch als Präsident Gefühle zeigt, kam in Israel an. »Das ist ein Mensch«, sagten die Leute, die den Besuch verfolgten.
Für seinen Eintrag ins Gästebuch der Gedenkstätte nahm er sich minutenlang Zeit. Einfühlungsvermögen ist für den ehemaligen Pastor eine leichte Übung, doch Israelis kennen so viel aufrichtige Rührung von Deutschen nicht unbedingt. »Wir stehen zu dem Land, das hier derer gedenkt, die nicht leben durften«, schrieb der Bundespräsident. Die Sympathien waren auf seiner Seite. Am Nachmittag legte Gauck entsprechend der jüdischen Tradition Steine auf die Gräber der israelischen Sportler, die 1972 bei dem Terroranschlag von München starben. Zudem traf er Überlebende des Attentats zum Gespräch.
Balanceakt Mit jedem Schritt bewies Gauck, dass ihm diese Reise tatsächlich am Herzen lag. Von vornherein war klar, dass der Besuch ein Balanceakt werden würde. Denn die Erwartungen der Israelis waren hoch. Umso höher, als in jüngsten Umfragen zwei Drittel der Deutschen »Israel als aggressiven Staat« bezeichneten. Die Gesprächspartner wollten wissen, warum das so ist und wie dieses Problem angegangen werden soll.
In einem ausführlichen Interview mit der Tageszeitung Haaretz bezog Gauck Stellung: »Aus den Abgründen seiner Geschichte kommt Deutschland eine einzigartige Verantwortung zu. Wachsende Ressentiments gegenüber Israel sind zwar nicht allein ein deutsches Phänomen, aber wir Deutsche sollten uns besonders kritisch fragen: In welchem Geist urteilen wir über israelische Politik? Doch bitte nur im Geist der Freundschaft. Da ist durchaus auch Platz für Kritik, nicht aber für Vorurteil.« Zu Günter Grass’ Hetz-Gedicht erklärte er, es sei Grass’ persönliche Meinung, jedoch nicht die der deutschen Politik.
Über Irans nukleares Programm zeigte sich Gauck sehr besorgt. Es sei nicht nur eine konkrete Bedrohung für Israel, sondern auch eine potenzielle für die ganze Region und »für uns in Europa«, so der Bundespräsident im Interview. Er glaube allerdings, dass die strikten europäischen Sanktionen das sein werden, was den Iran an den Verhandlungstisch bringen werde. Er hoffe, es werde möglich sein, eine diplomatische Lösung zu finden. Diplomatie statt Krieg – eine klare Ansage an die Israelis. Gleichzeitig überbrachte Gauck die Botschaft, die er bereits vor dem Abflug ins Heilige Land verlauten ließ: »Wir Deutsche stehen an eurer Seite«.
Szenario Vor Journalisten in Jerusalem bezog sich Gauck dann auf die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset 2008. Damals hatte sie betont, die Sicherheit Israels sei »Staatsräson«. Gauck dazu: »Ich will mir nicht jedes Szenario ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten bringt, ihren Satz, dass Israels Sicherheit Staatsräson ist, politisch umzusetzen.« Mit Szenario meinte er Krieg.
Stellung bezog Gauck auch beim Treffen mit Außenminister Avigdor Lieberman. Der Bundespräsident kritisierte Israels Siedlungspolitik, der Hardliner verteidigte sie. Eine gemeinsame Linie gab es bei diesem Thema nicht – was auch nicht zu erwarten war.
Am Dienstagabend bewegte sich Gauck wieder auf freundlicherem Terrain. Schimon Peres zeigte sich beim Staatsbankett äußerst optimistisch, als er erklärte, Israel befinde sich auf dem Höhepunkt eines Prozesses, Frieden mit den Palästinensern auf der »Basis des Prinzips von zwei Staaten für zwei Völker zu erreichen«. Eine Steilvorlage für Gauck: Nur durch mutige Schritte werde es möglich sein, den Stillstand zu überwinden. »Auch die Deutschen träumen vom Guten, und wir wollen mithelfen, diesen Traum wahr zu machen – den Traum vom freien und friedlichen Leben. Im Nahen Osten und überall sonst, wo Menschen leben.«