Bei einer Anhörung im Bildungsausschuss des Bundestags am Mittwoch ging es um den grassierenden Judenhass an Universitäten. Shila Erlbaum vom Zentralrat der Juden war als Expertin dabei. Ein Gespräch.
Frau Erlbaum, Studenten und andere Personen haben in den vergangenen Wochen bei sogenannten Protestcamps und Gebäudebesetzungen an Universitäten den Terror gegen Israel verherrlicht und dem jüdischen Staat das Existenzrecht abgesprochen. Wie alarmierend ist die Situation?
Die Situation ist sehr alarmierend. Außeruniversitäre Kräfte kapern den universitären Raum und finden Studierende, die mitmachen und nicht hinterfragen, wofür sie sich hergeben oder wofür sie instrumentalisiert werden. Die Personen, die dahinterstecken, die Organisatoren dieser Camps, bedrohen jüdische Studierende und Lehrende, aber auch nichtjüdische Studierende, die sich mit Juden solidarisch erklären oder die für Israels Existenzrecht eintreten. Sie bedrohen auch das Universitätspersonal. Das haben wir jetzt auch schon mehrfach gesehen.
Nun wurde das Thema auch im Bundestagsausschuss für Bildung erörtert. Was konnten Sie beitragen?
Ich konnte die jüdische Perspektive beitragen und bei der Gelegenheit auch Forderungen formulieren, um die Thematik strukturell anzugehen. Hochschulen müssen aufklären und wissenschaftlich fundiert Theorien widerlegen, anstatt auf fragwürdigen Theorien zu beharren. Wir brauchen eine verpflichtende modulare Verankerung von relevanten Inhalten in die Lehre. Dabei geht es um Kenntnisse über Antisemitismus, Judentum und Israel. Es müssen Ressourcen bereitgestellt und eine nachhaltige Infrastruktur aufgebaut werden.
Was muss Ihrer Meinung nach noch getan werden, um den Judenhass an Unis einzudämmen und die Sicherheit jüdischer, pro-israelischer und pro-demokratischer Studenten zu gewährleisten?
Es geht um ein Vorgehen wie eben beschrieben. Und da sehe ich Bildung und Aufklärung tatsächlich als maßgeblich. Es braucht auch eine Aufklärung des Lehrpersonals, damit es Antisemitismus erkennen kann - darunter die im Moment am meisten vorherrschende Form des Judenhasses, nämlich israelbezogenen Antisemitismus. Wir sehen an den Universitäten verschiedene Disziplinen, die es nicht vermögen, den Terrorangriff der Hamas als das zu bezeichnen, was er ist. Die Gender Studies schaffen es nicht, die sexualisierte Gewalt, die am 7. Oktober passiert ist, zu benennen, obwohl sie sonst immer auf der Seite der Opfer stehen. Ich glaube, dass einfach mehr Gespräche erforderlich sind – und mehr Fakten auch.
Die Sicherheit für jüdische Studenten ist etwas, das nicht warten kann. Was ist ihr Gedanke dazu?
Ich denke, das Hausrecht der Universitäten muss gestärkt werden. Die brauchen eine rechtliche Handhabe, um zum Beispiel gegen Protestcamps und deren Teilnehmer und die von ihnen ausgehende Bedrohung vorzugehen. Man braucht Notfallpläne, damit die Hochschulen definieren können, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Mir ist bewusst, dass es nicht einen einzigen Plan geben kann, der für alle Universitäten gleich einsetzbar ist, denn es gibt an den Unis unterschiedliche Gegebenheiten.
Bisher beobachten wir, dass der Hass gegen Israel und Juden nicht leiser und zurückhaltender, sondern lauter und aggressiver wird. Woran hapert es bei dessen Bekämpfung?
Ich denke, die sozialen Medien sind in Hinblick auf Judenhass ein Riesenproblem. Wir haben es hier mit Medien zu tun, in denen Antisemitismus sehr viel Platz gegeben wird, in denen Diskurse verschoben werden, in dem Äußerungen getätigt und Reichweiten erzielt werden, in dem Slogans in Köpfe transportiert werden – und das alles in einem ungeschützten Raum, beziehungsweise in einem Raum, der keine Grenzen hat.
Was ich auch für problematisch halte, ist, dass dagegen nicht strukturell vorgegangen wird. Man löscht hier ein Feuer, versucht es dort mal mit Aktivismus. Aber letztlich muss man dem Antisemitismus auf struktureller Ebene begegnen. Der Zentralrat der Juden hatte dies mit einer gemeinsamen Empfehlung zum Umgang mit Antisemitismus in der Schule schon 2021 ausgearbeitet, die wir gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz und der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten verabschiedet haben, um entsprechend gegen die Problematik vorgehen zu können. Der politische Wille muss ebenfalls da sein, diese Dinge umzusetzen.
Wie ist Ihrer Beobachtung nach die Lage an Schulen? War sie ebenfalls Thema im Ausschuss?
Darüber wurde im Ausschuss diesmal weniger gesprochen wobei aber die Situation dort auch wirklich höchst alarmierend ist. Mir persönlich wurden am Dienstag zwei Berichte von Kindern übermittelt, die über Wochen gemobbt und dann tätlich angegriffen wurden. Wir haben das Problem, dass die Lehrkräfte einfach nicht wissen, wie sie mit antisemitischen Äußerungen der Schülerinnen und Schüler umgehen können. Wir sehen, dass auch jüdische Lehrkräfte bedroht werden, dass sie ständig mit Antisemitismus, mit teilweise an Tafeln geschriebenen, antisemitischen Slogans konfrontiert werden. Zugleich haben sie manchmal auch wenig Unterstützung von den Schulleitungen.
Es gab Kritik an der Zusammensetzung des Ausschusses. Eine »Gruppe jüdischer Akademiker*innen und Studierenden« monierte, die »notwendige Pluralität jüdischer Positionen und Erfahrungen in Bildungsinstitutionen« sei nicht zum Ausdruck gebracht worden. Die Unterzeichner kritisieren Israels Kampf gegen den Terror in Gaza ebenso wie den Zentralrat, der »bei weitem nicht das Meinungsspektrum der deutschen Jüdinnen und Juden abdecken« könne und tendenziell konservativ sei. Was sagen Sie dazu?
Der Zentralrat vertritt die Mehrzahl der Jüdinnen und Juden in Deutschland. Die von dieser Gruppe geäußerten Thesen sind eine absolute Minderheitenmeinung. Ein Teil dieser Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sympathisieren mit Positionen der BDS-Bewegung, die wiederum ein Extremismus-Verdachtsfall des Verfassungsschutzes ist.
Weitere Kritik kam vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Die Institution beschwerte sich darüber, dass sie nicht in den Ausschuss eingeladen wurde. Hätten mehr Experten dabei sein müssen?
Das ist eine Frage, die an den Ausschuss gerichtet werden muss.
Was erwarten Sie nun, nach der Ausschusssitzung?
Es ist positiv zu bewerten, dass das große Problem in der Politik erkannt wird. Allerdings bin ich nur begrenzt optimistisch, denn die Länder sind für die Bildung zuständig, nicht der Bund. Insofern hat der Bund auch nur begrenzte Möglichkeiten, dieses Thema in den Schulen und in den Hochschulen zu bearbeiten. Ich hoffe, dass diese Ausschusssitzungen auch Wirkungen auf die Länder haben und dass die Bundestagsabgeordneten ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern stärker sensibilisieren können.
Shila Erlbaum ist Abteilungsleiterin Politik und Religion beim Zentralrat der Juden in Deutschland.