Die Überschrift auf Spiegel Online verspricht Brisantes: »Lobbyismus im Bundestag: Wie zwei Vereine die deutsche Nahostpolitik beeinflussen wollen – Ein deutsch-jüdischer und ein proisraelischer Verein haben im Bundestag ein enges Netzwerk gespannt – mit fragwürdigen Methoden.«
Auf drei Seiten beschäftigen sich dann immerhin sechs Autoren in der Printversion mit dem, was sie wahlweise »offensive Lobbyarbeit« oder »aggressive Lobbymethoden« nennen. Dabei dreht sich alles um die WerteInitiative e.V. sowie Naffo – Nahostfriedensforum e.V., die zu »Frontorganisationen« der israelischen Regierung erklärt werden, bei denen womöglich »selbst der Geheimdienst Mossad« die Hände mit im Spiel haben könnte.
RAUNEN Beide werden als Strippenzieher präsentiert, die unter anderem dafür gesorgt hätten, dass der Deutsche Bundestag Mitte Mai mit großer Mehrheit und fraktionsübergreifend die Resolution gegen die israelfeindliche und in ihren Methoden und Zielen antisemitische Boykottbewegung BDS verabschiedet hatte. Will man dem Artikel Glauben schenken, dann standen so manche Abgeordneten »auch aus Angst, als Antisemiten zu gelten« nicht wirklich hinter dieser Entscheidung. Offenkundig sei Druck ausgeübt worden. Zudem würde der Text der Resolution in seinem Wortlaut auffallend den Forderungen nach einer Verurteilung der BDS-Bewegung gleichen, wie sie von der WerteInitiative immer wieder artikuliert wurden.
»Warum, fragen sich nicht wenige Parlamentarier, war eine eigene Resolution für eine in Deutschland unbedeutende Initiative nötig? Und wie würde sie sich auf die Zusammenarbeit deutscher Stiftungen mit palästinensischen NGOs auswirken?«, fragen die Autoren. Antworten oder einen erklärenden Kontext bleiben sie jedoch dem Leser schuldig.
Belege legen die sechs Journalisten in ihrem dreiseitigen Bericht nicht vor. Es bleibt beim Gerücht von der jüdischen Lobby.
Dafür warten sie mit einer weiteren Behauptung auf: Die Tatsache, dass Deutschland 2019 erstmals gegen eine jedes Jahr von einigen arabischen Staaten bei der Weltgesundheitsorganisation WHO eingebrachte Resolution gestimmt hatte, die eine eindeutig antiisraelische Schlagseite hat, konnte wohl ebenfalls nicht mit rechten Dingen zugegangen sein – und ginge wohl gleichfalls auf das Konto der »gut vernetzten« jüdischen Vereine.
»AUSGEWOGEN« Als Kronzeugen für ihre Behauptungen führen die Autoren Niels Annen an, immerhin Staatsminister im Auswärtigen Amt. Der SPD-Politiker erklärte die WerteInitiative und Naffo für »problematisch«, weil sie seiner Auffassung zufolge die »ausgewogene« Politik Berlins im Nahen Osten stören würden. Was Annen unter Ausgewogenheit versteht, konnte man sehr gut im Februar dieses Jahres sehen, als er die Einladung der Botschaft des Irans zu den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution annahm.
Naffo-Geschäftsführerin Mirjam Rosenstein und WerteInitiative-Gründer Elio Adler bewerten den Spiegel-Text als eine Verleumdung. »Der Artikel verwendet extreme Doppelmaßstäbe«, so Rosenstein in der »Bild«-Zeitung. Naffo nehme zu politischen Fragen Stellung und treffe sich mit Politikern, so wie es jeder Interessenverband von der Automobilindustrie »bis zum Kaninchenzüchterverein« tue. Alles sei transparent und nachvollziehbar.
Für Elio Adler ist der Beitrag in dem Nachrichtenmagazin hochproblematisch, wie er es gleichfalls gegenüber »Bild« auf den Punkt brachte. Vieles erinnere an das alte judenfeindliche Klischee von der jüdischen Weltverschwörung, die mit ihrem Geld Politiker einfach kaufen würden. »Der Artikel bedient und füttert diese antisemitische Mär«, betont Adler. »Ohne dieses widerliche Bild würde der Artikel kaum ›funktionieren‹«
REAKTIONEN Interessant ist ebenfalls die Historie der Überschrift auf Spiegel Online. Denn zuerst lautete das Ganze folgendermaßen: »Lobbyismus im Bundestag: So steuern zwei Vereine die deutsche Nahostpolitik«. Nach den ersten negativen Reaktionen wurde diese dann etwas abgeschwächt, jetzt »beeinflussen« WerteInitiative und Naffo nur noch.
Unabhängig davon fällt auf, dass der gesamte Text ohne Fakten und Argumente daher kommt und auffällig oft Formulierungen wie »der Verdacht liegt nahe« und den Konjunktiv benutzt – es bleibt beim Gerücht von der jüdischen Lobby. ja