Anschläge in Bayern

»Das erinnert an die Lage in Israel«

Blumen und Kerzen: Münchner gedenken der Opfer des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum. Foto: imago

Daniel A. Heinrich, Assistenzarzt am Klinikum der Universität München
Über die WhatsApp-Gruppe meiner Arbeit habe ich mitgeteilt bekommen, dass gegebenenfalls Ärzte und Pflegepersonal gebraucht werden könnten. Ich habe mich mit meinem Roller sofort auf den Weg gemacht. An dem Tag hatte ich zwar schon meinen regulären Arbeitstag hinter mir, aber in dieser Situation dachte ich mir, dass alle Ärzte gebraucht werden würden. Auf dem Weg in die Klinik kamen mir unentwegt Polizeiautos mit Blaulicht entgegen, am Isartor standen Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren. Das Klinikum der Universität München wurde ebenfalls extra gesichert – eine außergewöhnliche Situation. Ein bisschen erinnert mich die jetzige Situation an die Lage in Israel. Dort ist so etwas leider Alltag. Wie die Israelis sollten wir nun versuchen, uns nicht von Angst dominieren zu lassen. Wir sollten weiterhin unsere Freiheit leben, unsere Werte vertreten – und vor dem Hintergrund der Taten in Würzburg und Ansbach Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen.

Rabbiner Yehuda Aharon Horovitz, IKG München
Obwohl am Freitagabend keine Bahnen und Busse mehr fuhren, hatten wir einen Minjan. Wir haben uns zum Beten getroffen, und ich habe Psalm 20 ergänzt. Den soll man sagen, wenn ein Jude in Not ist. Wir haben ihn gemeinsam gebetet zum Andenken an die Ermordeten und für die Genesung der Verletzten. Bezeichnenderweise geschah der Anschlag am Vorabend des 17. Tamus. In dieser Zeit des Jahres muss man die Verbindung mit Gott verstärken, zum Beispiel den Gottesdienst öfter besuchen. Das habe ich der Gemeinde gesagt. Jetzt, in dieser besonderen Zeit der Gefahr, gilt es, zusammenzurücken.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Die schnelle Abfolge dieser schrecklichen Ereignisse hat uns alle betroffen und sicherlich auch in gewissem Sinne ratlos gemacht. Es ist deutlich geworden, dass solche Taten nicht nur auf Großstädte oder Großereignisse beschränkt sind. Ich denke, dass wir auch im Alltag umdenken müssen. Wir beobachten das in Israel: Dort werden Menschen vor dem Besuch öffentlicher Einrichtungen, wie etwa Einkaufszentren, überprüft. Auch der Flughafen in Tel Aviv ist stärker gesichert als Flughäfen in Deutschland. Jeder Israeli reagiert sofort, wenn er irgendwo ein herrenloses Gepäckstück sieht. Ich vermute, dass wir uns in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern in eine ähnliche Richtung entwickeln werden, ob uns das gefällt oder nicht. Auf dem Gebiet der Sicherheit können wir viel von Israel lernen.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG München und Oberbayern
Die Sicherheitskräfte haben in Bayern hervorragend reagiert und werden zu Recht international gelobt. Doch sie brauchen endlich alle Mittel, um in der Prävention noch wirkungsvoller arbeiten zu können. Zugleich müssen wir feinere Sensoren für die Gefahr entwickeln, die von psychisch labilen oder scheinbar traumatisierten Menschen ausgehen kann. Das betrifft neben den Fachleuten, die mit der Behandlung dieser Menschen befasst sind, uns alle. Das Internet spielt eine verheerende Rolle – hier bewegen sich die meist jungen Täter abgeschottet in der Parallelwelt ihrer jeweiligen Ideologie und finden alles von der tödliche Legitimation für ihre menschenverachtenden Pläne, über Komplizen bis hin zu ausführlichen Mordanleitungen. Das muss endlich – auch international – wirkungsvoll bekämpft werden. Auch wenn mörderische Lebensverachtung gerade unser Leben bestimmt: Unsere Liebe zum Leben wird stärker sein!

Daniel Zylbersztajn, London-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen, wuchs im Olympischen Dorf in München auf
Im Olympia-Einkaufszentrum kehren die verschiedensten Menschen zum Einkaufen oder auch nur zum Eiscafé trinken bei »Ti Amo« ein. Im Nordwesten Münchens gelegen, trifft sich hier eine besonders vielseitige Menschenmischung, weniger kompliziert und nicht ganz so aufgeputzt, wie, sagen wir: im Zentrum Münchens. Bislang hielt ich – als Exilmünchner in London – München für sicher. Aber das Klischee stimmte nie. Als Kleinkind bekam ich das Terrorattentat bei den Olympischen Spiele 1972 mit, zwei Jahre vorher wurde das Gemeindezentrum hier angegriffen, und 1982 gab es ein Sprengstoffattentat am EL- AL-Schalter am Flughafen München-Riem. Meine Mutter ist oft im OEZ. Sie geht jetzt erst mal nicht dahin, sagte sie. Ich empfahl ihr, sie soll raus gehen, dort Kaffee trinken. Wenn ich sie demnächst besuche, werde ich das auch machen. Daffke, gerade wegen des Amoklaufs! Natürlich werde ich dann auch an die Ermordeten denken, und dass so ein Ort wie das OEZ, mit seinen verschiedenen Menschen aus aller Welt, genau wie die Olympiade 1972, eigentlich genau die Utopie ist, die wir uns nicht nehmen lassen dürfen.

Jo-Achim Hamburger, Sprecher der IKG Nürnberg
Das Reflexhafte habe ich mir abgewöhnt in über zwölf Jahren in Israel. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf das hören sollten, was uns die Polizei rät: nämlich abzuwarten und besonnen zu reagieren. Bei den Gemeindemitgliedern konnte man kein höheres Angstpotenzial erkennen. Wir sind auch Kummer gewöhnt, wir verlassen uns weiterhin auf den Rechtsstaat, wir verlassen uns auf eine starke Demokratie. Und ich glaube, dass wir besonnen reagieren müssen. Wir versuchen, wenn jemand aufgeregt ist, ihn zu beruhigen. Wir sagen: Lebt weiter, lebt euer Leben und habt Spaß und habt Freude an dem, was ihr macht.

Marian Offman, Mitglied im Vorstand der IKG München und CSU-Stadtrat
Ich war am Freitag gegen 19 Uhr zu einem Atelierfest unterwegs, das in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums stattfand. Von dem Anschlag habe ich übers Handy erfahren. Und bei der Begrüßungsrede, die ich in Vertretung des Oberbürgermeisters hielt, habe ich diesen Anschlag angesprochen und nach den Attentaten von Paris und Nizza natürlich durchaus daran gedacht, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handeln könnte. Ich habe aber auch betont, dass man vieles noch gar nicht weiß. Das ist eine schwierige Zeit, und ich bin froh, dass wir in der jüdischen Gemeinde München von dem Sicherheitskonzept, das wir schon seit geraumer Zeit haben, nicht abgewichen sind. Es vermittelt unseren Gemeindemitgliedern Sicherheit.

Joram Ronel, Arzt für Psychosomatische Medizin, Klinikum rechts der Isar München
Ich glaube nicht, dass es eine Patentlösung gibt, wie man auf Terroranschläge reagieren sollte. Was ich jedoch problematisch finde, ist, dass oft eine Umkehrung stattfindet: Im Fokus der Debatten steht dann oft die »übertriebene Angst« der Menschen. Es werden Statistiken eingeholt (»ein Blitzschlag ist wahrscheinlicher ...«) und wir beruhigen uns damit, dass es diesmal doch nur ein »normaler Amoklauf« war. Die Empörung über die Mörder und deren extremen Empathieverlust, der dazu führt, wahllos zu töten, tritt in den Hintergrund – wahrscheinlich schützt das vor den eigenen Gefühlen. Als ob es eine pathologische Störung wäre, wenn man Angst bekommt. Angst ist eine legitime, menschliche Reaktion. Wenn unsere Vorfahren keine Angst gehabt hätten, wären sie vor dem Säbelzahntiger nicht davongelaufen, und dann wären wir heute nicht hier. Angst hat die Funktion, dass wir unserem Gegenüber ein Signal geben, dass wir Unterstützung brauchen. Nach Paris, Nizza und München ist es somit auch eine sinnvolle Reaktion, das kommt mir im aktuellen Diskurs manchmal zu kurz. Was kann man tun? Es ist wichtig, mit Menschen, die einem etwas bedeuten, über seine Angst zu sprechen – sie zu teilen. Natürlich muss das Leben und die Normalität dann auch wieder weiter gehen. Aber das funktioniert besser, wenn man die innere Verletzlichkeit anerkennt.

Philipp Peyman Engel, Martin Krauß, Tobias Kühn, Heide Sobotka und Ingo Way

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