Verantwortung» war der Begriff, der sämtliche Statements durchzog, als heute in Berlin die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung, dem Freistaat Bayern und der Stiftung Kunstmuseum Bern (KMB) über den Nachlass von Cornelius Gurlitt öffentlich unterzeichnet wurde.
«Mit der Vereinbarung tragen der Bund und Bayern ihrer besonderen historischen Verantwortung Rechnung – für die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts und gegenüber den wahren Eigentümern möglicher NS-Raubkunst im Gurlitt-Nachlass. Auch das Kunstmuseum Bern steht zu der Verantwortung, die sich aus der Annahme der Erbschaft von Cornelius Gurlitt ergibt», so in einer gemeinsamen Erklärung Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Bayerns Justizminister Winfried Bausback und der Präsident des Stiftungsrates des Kunstmuseums Berlin, Christoph Schäublin.
taskforce Der am 6. Mai dieses Jahres verstorbene Cornelius Gurlitt hatte in seinem Testament seine rund 1500 Werke umfassende Sammlung dem Kunstmuseum Bern vermacht – und den Schweizern damit ein Problem bereitet. Nicht nur will eine Verwandte das Testament möglicherweise anfechten, mit der Begründung, Gurlitt sei zum Zeitpunkt der Abfassung nicht bei klarem Verstand gewesen.
Unter den 2011 bei einer Steuerrazzia in Gurlitts Münchener Wohnung aufgefundenen und beschlagnahmten Werken sowie weiteren, Anfang 2014 in Salzburg sichergestellten, Arbeiten – unter anderem von Renoir, Picasso und Monet – befinden sich Hunderte von Bildern und Zeichnungen, bei denen es sich mutmaßlich um NS-Raubkunst handelt. Der Bund und Bayern hatten im November 2014 deshalb eine Taskforce eingesetzt, die den Kunstschatz auf mögliche «arisierte» oder sonst wie in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogene Teile untersuchen soll.
Angesichts dieser Umstände hatten deshalb der Bund und Bayern im April dieses Jahres mit Cornelius Gurlitt eine privatrechtliche Vereinbarung geschlossen. Gurlitt stellte alle verdächtigen Werke für ein Jahr den Behörden zur Provenienzprüfung zur Verfügung. Diese Verpflichtung übernimmt als Erbe Gurlitts jetzt auch das Kunstmuseum Bern. Die Taskforce wird ihre Untersuchungen fortführen. Alle verdächtigen Werke bleiben bis zum Abschluss der Arbeit in Deutschland. «Über die Schwelle des Kunstmuseums Bern kommen generell keine Werke, die sich als Raubkunst erweisen», so KMB-Stiftungsdirektor Schäublin vor der Presse.
recherchen Ergeben die Recherchen, dass es sich tatsächlich um Raubkunst handelt, wird das Ergebnis auf www.lostart.de veröffentlicht. «Das Werk wird ... restituiert, wenn ein Berechtigter bereits identifiziert ist. Ist noch kein Berechtigter identifiziert, wird das Werk mit Erläuterungen zu seiner Herkunft in Ausstellungen in Deutschland präsentiert, sodass Berechtigte jederzeit die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche geltend zu machen», heißt es in einer offiziellen Zusammenfassung der heute unterzeichneten Vereinbarung.
Zudem soll die vielfach bemängelte fehlende Transparenz verbessert werden: «Die Geschäftsbücher von Cornelius Gurlitt werden ... öffentlich zugänglich gemacht, und zwar ebenfalls über www.lostart.de. Auch die geschäftliche Korrespondenz soll dort veröffentlicht werden.»
Als zukünftiger Besitzer der Gurlitt-Sammlung übernimmt auch das KMB Verpflichtungen. Das Berner Museum wird eine eigene Forschungsstelle einrichten, die einen wesentlichen Beitrag zur Provenienzklärung leisten soll.
lücken Die Jewish Claims Conference, die die Entschädigungsansprüche von Schoa-Opfern und deren Nachkommen vertritt, begrüßt im Prinzip die Vereinbarung, vor allem die Priorität, die der Restitution von Raubkunst an jüdische Eigentümer oder deren Erben eingeräumt wird. «Die rechtliche Grundlage ist mit der Annahme des Erbes jetzt endlich gegeben, und wir hoffen dringlich auch auf eine umgehende Regelung der rechtlichen Formalien», erklärte Rüdiger Mahlo, Deutschlandrepräsentant der Claims Conference.
Man wünsche sich allerdings von der Taskforce «eine zügigere und intensivierte Bearbeitung des Raubkunstkonvoluts». Bislang sind von den Hunderten verdächtiger Fälle erst drei zweifelsfrei geklärt. Die Claims Conference fordert auch eine aktive Teilhabe an der Arbeitsgruppe des KMB, die Werke, deren Provenienz durch die deutsche Taskforce nicht abschließend recherchiert werden kann, untersuchen soll.
rückgabe Auf ein weiter bestehendes rechtliches Problem bei der Rückgabe von NS-Raubkunst an die Erben der rechtmäßigen Besitzer hatte der bayerische Justizminister Winfried Bausback in seinem Statement hingewiesen. Nach derzeitigem Recht sind diese Ansprüche verjährt. Im Fall Gurlitt habe man zwar eine einvernehmliche Regelung gefunden, die Verjährung außer Acht zu lassen. «Aber was geschieht, wenn morgen der nächste Kunstfund auftaucht?», so Bausback.
Bayern habe deshalb Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, der bei Raubkunst die Verjährung ausschließt. Dem Vernehmen nach bereitet inzwischen die Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf in dieser Sache vor, der im ersten Quartal 2015 vorgelegt werden soll.