Der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, Daniel Botmann hat in einer Rede vor dem Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags die deutsche Kulturwelt scharf kritisiert. Neben anderen gesellschaftlichen Bereichen habe sich diese im Zuge des 7. Oktobers »in großen Teilen zu einem unsicheren Ort für Juden entwickelt.«
In einem Fachgespräch mit dem Titel »Aktivitäten der Bundesregierung zur Förderung jüdischen Lebens und zur Bekämpfung des Antisemitismus im Kulturbereich« erklärte Botmann, der 7. Oktober bezeichne »das größte und gewaltvollste Pogrom an Juden nach der Schoa.«
Der daraus entstandene Krieg, der nicht nur in Gaza, sondern durch den Raketenbeschuss des palästinensischen Terrors weiterhin auch in Israel stattfinde, beunruhige die jüdische Gemeinschaft immer noch sehr.
Kurator nannte Massaker »Poetic Justice«
In der Kunstwelt hätten sich die Grenzen des Sag- und Zeigbaren Stück für Stück verschoben. Dies gelte vor allem seit dem 7. Oktober. »Zuletzt wurde der Hamburger Bahnhof in Berlin Schauplatz einer für die aktuelle Situation exemplarischen, antisemitischen Aktion. Diese Form der Gewalt zieht sich als roter Faden seit Monaten durch die Kunstwelt«, sagte Botmann.
»Denn noch am Tag des Massakers verklärten nicht wenige etablierte Künstler in Deutschland die Vergewaltigungen, Folter und Verstümmelung von friedlichen Zivilisten als heroischen Widerstand«, sagte er vor den Ausschussmitgliedern. »So wurde zum Beispiel eine Aufnahme der um ihr Leben fliehenden Besucher des Nova-Festivals mit den Worten ›Poetic Justice‹ überschrieben und auf Social Media verbreitet.«
Die folgenden Wochen und Monate seien »von ideologisch aufgeladenen offenen Briefen voll von Desinformationen über den Nahostkonflikt und Hass gegen Israel und Juden« geprägt gewesen. Sie seien tausendfach unterzeichnet worden.
Schwammige Solidaritätsbekundungen
Botmann kritisierte, Solidaritätsbekundungen deutscher Kulturinstitutionen seien »oft durch ihre lange Abwesenheit und Schwammigkeit« aufgefallen. »Scheinbar ist es kein einfaches Unterfangen, Worte der Empathie und Menschlichkeit zu finden, wenn es sich um massakrierte Israelis oder Juden handelt«, so der Geschäftsführer des Zentralrates.
»Es hat sich ein Klima des Israelhasses etabliert. Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass Antisemitismus in künstlerischen Kontexten unerträglich wird. Seit Jahren hören wir von jüdischen und israelischen Künstlern von einem anwachsenden Silent Boycott, angeregt durch BDS und andere.« Botmann erwähnte in diesem Zusammenhang die letzte Ausgabe der Documenta in Kassel und deren bisheriges Nachspiel.
»Wenn in politischen Reden darauf verwiesen wird, dass Antisemitismus ein gesellschaftliches Problem ist, dann frage ich mich, warum sich aus dieser Logik heraus, nicht gesamtgesellschaftlich gegen dieses Problem gestellt wird«, erklärte er.
Sprachliche und bildliche Dimensionen
Daniel Botmann forderte »eine selbstkritische Aufarbeitung der NS-Geschichte großer Kulturinstitutionen zur Stärkung des demokratischen Selbstverständnisses und der Widerständigkeit gegen menschenverachtende Ideologien« im Kunst- und Kulturbetrieb. »Wer über die Mechanismen des Nationalsozialismus und seiner instrumentalisierenden Funktion von Kunst lernt, wird auch resistenter gegen geschichtsrevisionistische NS-Vergleiche oder Gleichsetzungen.«
Auch müsse sich die Kulturwelt mit den verschiedenen Ausdrucksformen, insbesondere den sprachlichen und bildlichen Dimensionen des Judenhasses auseinandersetzen, um antisemitische Chiffren und Codes erkennen und benennen zu können. Die Kunstuniversitäten seien in diesem Zusammenhang auch in der Pflicht, Aus- und Weiterbildung für Mitarbeiter in Kultureinrichtungen anzubieten.
Der Darstellung des Rechts auf Kunstfreiheit und den Kampf gegen Antisemitismus als Gegensätze müsse ein Ende gesetzt werden, forderte Botmann: »Der Kampf gegen Antisemitismus und die Kunstfreiheit sind miteinander im Einklang stehende Verfassungsprinzipien, die als solche selbstverständlich nebeneinanderstehen müssen.«
Konsequentes Durchgreifen
Erforderlich sei außerdem ein »konsequentes Durchgreifen bei antisemitischen Darstellungen oder Verbreitung antisemitischer Weltbilder in künstlerischen Kontexten.«
»Immer wieder wird gerade dem letzten Punkt entgegengesetzt: In einer Demokratie müsse man auch konträre Positionen aushalten können und zur Kunstfreiheit würde auch das Aus- und Überreizen gehören. Dem kann ich als Demokrat zustimmen. Bloß lässt mich eine Frage nicht los: Wieso trifft dieses aushalten müssen immer und immer wieder die Juden?«
»Wenn in Kunst und Kultur wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen dem Antisemitismus nicht entschieden und konsequent begegnet wird, werden die sicheren Räume für Juden immer enger, bis sie komplett aus ihnen verdrängt werden«, so Botmann im Bundestagsausschuss. im