Gemeindetag

»Das hier ist Ihr Land! Sie gehören hierher«

Justizminister Marco Buschmann Foto: Marco Limberg

In einem so schönen und feierlichen Rahmen würde ich gerne eine übliche Festrede halten. Gerne würde ich mit ein paar Zitaten und Bonmots beginnen. Gerne würde ich mit der Schilderung einiger persönlicher Begegnungen und Begebenheiten fortfahren. Am Ende käme dann höflicher Applaus, der ein wenig die Langeweile überdecken soll. Wirklich gerne würde ich heute eine solche Rede halten. Aber eine solche Rede kann ich heute nicht halten: Nicht weil ich es nicht möchte, sondern weil ich es muss.

Die Verhaftung der vier Hamas-Mitglieder letzten Donnerstag – drei hier in Berlin, einer in Rotterdam – hat gezeigt: Das »Zusammen leben«, das Sie sich zum Titel Ihrer Veranstaltung gewählt haben, ist konkret bedroht. Es ist bedroht durch Menschen, die töten wollen. Und sie wollen nicht irgendjemanden töten. Sie wollen Jüdinnen und Juden töten.

Ich bin unseren Sicherheitsbehörden und den Kollegen aus den Niederlanden sehr dankbar für diesen Ermittlungserfolg. Die Botschaft, die davon ausgeht, ist unmissverständlich: Wer in diesem Land Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden plant oder begeht, landet vor Gericht. Unsere Behörden sind wachsam, und sie sind handlungsfähig. Unser Rechtsstaat ist wehrhaft.

Wir werden alles dafür tun, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland hier in Frieden und Freiheit leben können. So wie das Existenzrecht Israels zu unserer Staatsräson gehört, gehört die Sicherheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland zu unserer Staatsräson, meine Damen und Herren.

Warum ist das so? Nicht weil wir das Judentum wie ein Museumsstück begreifen oder unter eine Glasglocke stellen wollen. Wir tun das, weil der Rechtsstaat alle seine Mitbürgerinnen und Mitbürger schützt, und eben das sind die Jüdinnen und Juden Deutschlands: Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Das hier ist Ihr Land! Sie gehören hierher. Sie gehören dazu. Und wer das nicht akzeptiert, wer das nicht ertragen kann, der ist es eben, der nicht zu Deutschland gehört. Dass wir jüdische Einrichtungen schützen müssen, dass wir Synagogen schützen müssen, dass wir Schulen schützen müssen, dass wir diese Veranstaltung schützen müssen, ist eine Schande. Diese Schande trägt einen Namen: er lautet Antisemitismus. Dass ihn einige hinnehmen, relativieren oder – wie es manchmal vornehm heißt - »kontextualisieren« wollen, ist erschreckend.

Der Schriftsteller Saul Bellow hat geschrieben, dass Unterdrückung nie von großer Präzision sei: Wenn man eine Sache unterdrücke, unterdrücke man auch die daneben – if you hold down one thing you hold down the adjoining. Denen, die Antisemitismus dulden, weil sie meinen, es betreffe sie ja eh nicht, müssen wir daher klarmachen: Ja, der Antisemit ist ein Judenfeind – aber er ist auch ein Menschenfeind, ja vor allem ein Menschheitsfeind. Denn wer eine Gruppe Menschen unterdrückt, der unterdrückt bereitwillig auch eine andere Gruppe.

Unsere Menschlichkeit zeigt sich in unserer Verschiedenheit. Es gibt keinen Antisemiten, der sich an dieser Verschiedenheit erfreuen könnte. Es gibt keinen Antisemiten, der sich an der Menschlichkeit erfreuen könnte. Die Hamas führt das aufs Eindrücklichste vor. Sie hasst und tötet eben nicht nur Juden, sondern auch Homosexuelle, Frauen, Andersdenkende. Ja, man sieht, wie viel ihr das Leben der eigenen Bevölkerung bedeutet: gar nichts.

Sonst wären die israelischen Geiseln frei, die sich immer noch in ihrer Gewalt befinden; sonst würde sie den Beschuss Israels einstellen, über den übrigens auch häufiger berichtet werden müsste; und sonst würde sie nicht Krankenhäuser und Schulen als Schutzschilde missbrauchen. Diese Mordbande zu feiern, sie gar als Befreiungsbewegung darzustellen, wie das in einigen Zirkeln geradezu schick zu sein scheint, ist empörend, abstoßend und dumm. Das ist die Saat des Menschenhasses, und sie geht leider viel zu oft auf.

Seit dem 7. Oktober haben die Behörden gut 4300 Straftaten registriert, die im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt stehen. Davon sind fast 500 Gewalttaten. Ein Drittel der jüdischen Gemeinden in Deutschland hat in den vergangenen Wochen antisemitische Angriffe erfahren.

Davidssterne werden auf Häuser gesprayt, israelische Flaggen angezündet; auf Demonstrationen hört man hundertfach Vernichtungs- und Morddrohungen gegen Israel, gegen Jüdinnen und Juden, und an einigen Universitäten spielen sich Szenen ab, die kaum weniger schauerlich sind.

Das alles zeigt seine schlimme Wirkung: Juden haben Angst, auf der Straße Hebräisch zu sprechen, trauen sich nicht mehr, eine Kippa in der Öffentlichkeit zu tragen; Veranstaltungen werden wegen Sicherheitsbedenken abgesagt, die Teilnahme am Gemeindeleben nimmt ab. Eine Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland fühlt sich im öffentlichen Raum nicht sicher.

Es ist beruhigend, dass die überwältigende Mehrheit der jüdischen Gemeindevertreter zufrieden ist mit der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden. Aber dass Sie immer wieder auf diese Zusammenarbeit angewiesen sind, ist beschämend. Nein, meine Damen und Herren, so wollen wir nicht »zusammen leben«.

Politik und Ermittlungsbehörden müssen handeln, und das tun sie auch. Unter anderem, in dem sie das Strafrecht konsequent anwenden. Die erwähnten Razzien letzten Donnerstag sind das jüngste Beispiel dafür. Aber bereits vor mehr als sechs Wochen hat die Bundesregierung ein Betätigungsverbot für die Hamas erlassen und die Auflösung des Vereins Samidoun verfügt.

Es sollte jedem klar sein: Wer Propagandamittel verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verbreitet, wer Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verwendet, wer die Flagge Israels verbrennt, wer eine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt oder Straftaten billigt: der macht sich strafbar.

Im Internet sind solche Propagandamittel leider immer noch leicht zu bekommen, etwa T-Shirts mit dem Aufdruck »From the river to the sea, Palestine must be free«. Die Verbreitung dieser Hamas-Parole – auf Deutsch oder in anderen Sprachen – hat die Bundesregierung verboten. Und dieses Verbot gilt auch im Internet.

Deutschland allein kann dieses Verbot nicht durchsetzen. Denn nach dem Digital Service Act ist für die die großen Plattformen die EU zuständig. Ich habe deshalb letzten Donnerstag einen Brief an den dafür zuständigen Kommissar Thierry Breton geschrieben. Dieser hat bereits im Oktober ein Auskunftsverlangen an verschiedene Internetunternehmen gerichtet. Gegenstand ist der online verbreitete Antisemitismus, der seit dem 7. Oktober enorm gestiegen ist.

Ich habe den Kommissar gebeten, Online-Märkte wie Amazon und Alibaba auf die Verbreitung des Slogans hin genau zu überprüfen. Die Betreiber müssen nämlich Maßnahmen gegen die Verbreitung rechtswidriger Inhalte ergreifen. Ich habe großes Vertrauen in die Kommission, dass sie die Dinge sehr aufmerksam verfolgen und, wenn nötig, entsprechend handeln wird. Es darf nicht sein, dass man T-Shirts mit Parolen, die sich gegen die Existenz Israels richten, einfach so im Netz bestellen kann!

Behörden müssen unsere Gesellschaft vor Menschenhassern verteidigen
Unser Rechtsstaat ist wehrhaft. Wann soll er das tatkräftig unter Beweis stellen, wenn nicht in dem Fall, dass jüdisches Leben in Deutschland attackiert wird? Für mich ist klar: Unsere Behörden müssen hier in aller Konsequenz unsere offene und freiheitliche Gesellschaft vor den Menschenhassern verteidigen.

Wenn etwa auf Demonstrationen verhetzende Straftaten begangen werden, sind die Verdächtigen zu identifizieren und entsprechende Beweismittel zu sichern. Und das ist dann auch wichtiger als Deeskalation. Denn ohne die Namen der Verdächtigen kann keine Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift verfassen. Ohne Anklageschrift kann kein Gericht zu einer Verurteilung kommen. Der Rechtsstaat muss zeigen: Wer Straftaten begeht, muss mit Strafverfolgung rechnen.

Wenn es sich bei den Straftätern nicht um deutsche Staatsbürger handelt, müssen wir aufenthaltsrechtliche Konsequenzen prüfen. Das heißt natürlich auch, unter Umständen eine Abschiebung zu veranlassen. Denn wer gegen Jüdinnen und Juden hetzt, bei dem besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse.

Das letzte, was wir übrigens wollen, ist, dass Antisemiten deutsche Staatsbürger werden. Hier bitte ich Sie, die Debatte um die Novellierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts genau zu verfolgen. Unseriöse, aber leider auch seriöse Kräfte in diesem Land reden hier immer wieder von einer »Verschleuderung« der Staatsangehörigkeit. Nichts könnte falscher sein!

Es geht unter Umständen schneller, aber die Kriterien werden schärfer. Das gilt für die Unterhaltsfähigkeit, also die Tatsache, dass man von seiner eigenen Arbeit leben kann. Es geht auch um strengere Regeln, die dafür sorgen, dass Antisemiten nicht mehr eingebürgert werden können.

Einbürgerungsbehörden sollen künftig selbst bei Bagatelldelikten wie etwa einer Beleidigung nachforschen, ob die Taten aus antisemitischen Gründen begangen wurden. Liegt ein Eintrag im Bundeszentralregister vor, müssen die Einbürgerungsbehörden Kontakt mit der zuständigen Staatsanwaltschaft aufnehmen. Hat ein Richter festgestellt, dass antisemitische Beweggründe vorliegen, kann der Täter nicht mehr deutscher Staatsbürger werden. Antisemiten sind in Deutschland nicht willkommen – und bekommen erst Recht keinen deutschen Pass!

Auch die Woken suchen sich am Ende immer denselben Sündenbock
Nun höre ich manchmal, dass man mit solchen Überlegungen den Antisemitismus der deutschen Staatsbürger relativiere. Das ist natürlich falsch. Es gibt auch unter deutschen Staatsbürgern Antisemitismus und zwar nicht nur von den Extremen rechts wie links, sondern aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Der Antisemitismus deutscher Staatsbürger ist nicht weniger abscheulich.

Aber ist das ein Grund, gegen Antisemiten ohne deutschen Pass nicht die Mittel des Ausländer- und Aufenthaltsrechts anzuwenden, die der Rechtsstaat zur Verfügung stellt? Eine solche Schlussfolgerung halte ich für absurd. Vielmehr gilt im Kampf gegen den Antisemitismus: Wir müssen uns aller Mittel bedienen, die uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt.

Bereits im November letzten Jahres hat die Bundesregierung die »Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben« beschlossen. Einer der Schwerpunkte ist hier das »für«: für jüdisches Leben. Ich glaube, das ist besonders wichtig, und wir haben es zu lange vernachlässigt: jüdischem Leben noch mehr Möglichkeiten zu geben, sich zu zeigen, hörbar und sichtbar zu sein.

Der Wiederaufbau von Synagogen, der Bau einer Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main und die Errichtung des Pears Jüdischen Campus in Berlin: das sind großartige Beispiele eines präsenten jüdischen Lebens in unserer Gesellschaft. Genauso wie die Chanukka-Leuchter in vielen deutschen Städten, die in den letzten beiden Wochen entzündet worden sind, auch, wie schon seit Jahren, vor dem Bundesministerium der Justiz.

Die größere Sichtbarkeit jüdischen Lebens bereichert nicht nur unsere liberale Gesellschaft. Wenn Antisemitismus – wie Adorno einmal gesagt hat – das »Gerücht über die Juden« ist, dann ist ein lebendiges Judentum das beste Gegenmittel. Sie, meine Damen und Herren, tun sehr viel dafür, und dafür sind wir Ihnen allen zu Dank verpflichtet. Aber natürlich brauchen wir noch mehr Unterstützung: Die Schulen sind gefragt, die Universitäten sind gefragt, Vereine und Jugendzentren sind gefragt, die bürgerlichen Kräfte dieses Landes sind gefragt.

Und auch die Medien sind gefragt. Ich weiß, dass man als Politiker die Arbeit der Medien nicht bewerten soll. Aber ich möchte trotzdem darum bitten, in der Berichtserstattung Ursache und Wirkung der Zustände im Nahen Osten auseinanderzuhalten, die Hamas nicht mit einer Nachrichtenagentur zu verwechseln und auch nicht in empörender Weise von einem »Geiselaustausch« zu sprechen, wenn es um die Auseinandersetzung zwischen einem Rechtsstaat auf der einen Seite und einer Terrorbande auf der anderen Seite geht.

Lieber Herr Dr. Schuster, Sie haben in Ihrer Eröffnungsrede gesagt, Deutschland sei Ihr Land. Ich freue mich, dass das so ist. Aber ich freue mich auch auf den Tag, an dem deutsche Jüdinnen und Juden das gar nicht zu betonen brauchen, weil es niemanden gibt, der das infrage stellen würde. Ich freue mich auf den Tag, an dem jüdische Einrichtungen nicht mehr von der Polizei geschützt werden und von Absperrungen umgeben sein müssen.

Ich freue mich auf den Tag, an dem man auf der Straße ohne Angst Hebräisch sprechen und seine Kippa offen tragen kann. Ich werde dafür arbeiten, dass dieser Tag möglichst bald kommen wird. Denn das ist das »zusammen leben«, das wir uns hier im Raum und das sich alle anständigen Menschen mit uns gemeinsam wünschen. Das ist das Licht der Hoffnung, das Juden zu Chanukka und Christen in der Adventszeit anzünden: Ein Licht der Hoffnung in dunkler Zeit, das sagt: Das Gute wird stärker sein als das Böse. In dieser Hoffnung wollen wir gemeinsam unser »Zusammenleben« gestalten.

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