In Österreich wird ein Treffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit FPÖ-Chef Herbert Kickl am heutigen späten Vormittag mit Spannung erwartet. Es wird damit gerechnet, dass das Staatsoberhaupt den Rechtspopulisten mit der Bildung einer Regierung beauftragt.
Zuvor waren Verhandlungen für die vom Staatsoberhaupt selbst favorisierte Bildung einer Dreier-Koalition von konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen Neos nach sechs Wochen an großen inhaltlichen Diskrepanzen gescheitert.
Kickl selbst gab sich im Vorfeld des Treffens eher vage. »Manches scheint heute um einiges klarer zu sein als in den letzten Tagen, manches liegt noch im Ungewissen«, schrieb Kickl auf Facebook. Zugleich hielt er mit Blick auf die jüngsten dramatischen Entwicklungen fest: »Uns trifft keine Verantwortung für verlorene Zeit, für chaotische Zustände und den enormen Vertrauensschaden, der entstanden ist.«
ÖVP will doch Bündnisgespräche führen
Die FPÖ hatte die Parlamentswahl vor drei Monaten zwar klar gewonnen, war aber angesichts des Unwillens der anderen Parteien mit den Rechtspopulisten zusammenzuarbeiten, bei Koalitionsgesprächen zunächst übergangen worden. Die konservative ÖVP, bisher auf Gegenkurs zur FPÖ, kündigte an, nun doch für Bündnisgespräche mit der rechten Partei zur Verfügung zu stehen.
Bei einem Zustandekommen der Gespräche und einer Einigung wäre der Weg frei für den ersten Kanzler Österreichs aus den Reihen der FPÖ. Der 56-jährige Kickl, der sich im Wahlkampf als »Volkskanzler« positioniert hatte, ist unter anderem bekannt für seine russlandfreundliche Haltung und eine äußerst strikte Migrationspolitik mit Abschiebungen im großen Stil.
Für etwaige Koalitionsgespräche von FPÖ und ÖVP zeichne sich eine große Übereinstimmung in der Wirtschafts-, Asyl- und Bildungspolitik ab, sagte die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle am Abend in der ORF-Nachrichtensendung »ZiB2«. Erhebliche Diskrepanzen seien dagegen bei der EU-, Außen- und Sicherheitspolitik zu verorten, sagte Hämmerle.
Auf Nehammer folgt als Parteichef Stocker
Völlig offen seien auch gemeinsame Konzepte zur Bewältigung der tiefen Budgetkrise, sagte der Präsident des Fiskalrats Christoph Badelt im ORF. Es sei fraglich, ob ein neuer Kanzler von der FPÖ mit unpopulären Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen starten wolle, so Badelt weiter. »Wir wissen alle nicht, wozu die FPÖ, wenn es wirklich ums Budgetkonsolidieren geht, eigentlich bereit wäre.« Österreich muss dringend sein Budget sanieren, um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos hatte Kanzler Karl Nehammer seinen Rücktritt angekündigt. Im Amt des Parteichefs folgte ihm interimistisch der bisherige ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Dieser gehörte wie Nehammer bisher zu den schärfsten Kritikern Kickls, dem er unter anderem Regierungsunfähigkeit unterstellte. Er hatte den FPÖ-Chef auch als »Sicherheitsrisiko« bezeichnet.
Zwischenzeitlich war auch ein Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Option für die ÖVP gehandelt worden. Am Sonntag wurde aber klar, dass der 38-Jährige, der inzwischen als Unternehmer erfolgreich ist, nicht als Nachfolger des aktuellen Kanzlers und ÖVP-Chefs Nehammer zur Verfügung steht, wie es aus seinem Umfeld hieß.
Bundespräsident verweist auf Stimmungswandel
Die Entwicklung zugunsten der FPÖ gilt auch als ein Schlag für den Bundespräsidenten, der eine Dreier-Koalition ohne die Rechtspopulisten präferiert hatte. Nun gehe es aber darum, dass Österreich eine handlungsfähige und stabile Regierung erhalte, so das Staatsoberhaupt.
Zunächst wird Nehammer laut Van der Bellen noch kurze Zeit als Kanzler im Amt bleiben. Im Laufe der Woche werde die Kanzler-Nachfolge geregelt. Der neue Regierungschef oder die neue Regierungschefin wird bis zur Vereidigung der nächsten Regierung das Land führen.
Das Staatsoberhaupt hatte in seinen Erklärungen immer wieder betont, das er »nach bestem Wissen und Gewissen« darauf achten werde, dass die Grundpfeiler der Demokratie - er nannte den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, freie, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft - weiter hochgehalten würden. dpa