Ich bin sehr schreckhaft in den letzten Tagen: Ich zucke zusammen, wenn jemand eine Kekstüte aufreißt und bekomme Herzklopfen und Schweißhände, wenn die Straßenbahn nur kurz im Tunnel stehen bleibt. Es herrscht schließlich in dem Moment, in dem ich das schreibe, Alarmstufe vier in Europas momentan unbeliebtester Metropole Brüssel – in der ich glücklicherweise nur arbeiten, aber nicht wohnen muss.
Die Antwerpener Juden hingegen, nur 60 Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt, haben ihrerseits die Ruhe weg. Hier gilt: business as usual. »Même pas peur« sagen sich die Antwerpener, die ja durch die Bank französischsprachig sind: Angst? Wir? Nicht die Bohne!
nonchalance Doch mit dieser Nonchalance kann ich irgendwie nicht mithalten. Als etwa am Samstagabend bei der Antwerpener Bnei-Akiva-Feier kurz der Strom ausfiel und es dunkel wurde, dachte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Als das Licht wieder anging, fand man mich zusammengekauert unter der hintersten Stuhlreihe, verzweifelt eine Schüssel Popcorn umklammernd. Es stimmt: Ich bin nicht so cool, wie ich vielleicht sein sollte, aber der armselige Kniefall Brüssels, dieser Nullnummer von Hauptstadt, überrascht doch niemanden von uns.
Belgien ist ein »failed state«, heißt es hier in den Zeitungen, und Brüssel ist eine »failed city«. Verlorener Staat, verlorene Stadt. Brüssel kapituliert derzeit nicht nur vor dem Terrorismus, sondern vor jahrzehntelangem Missmanagement. Wenn Brüssel – und Belgien und vielleicht Europa – derzeit am Abgrund zu stehen scheint, dann gebe ich die Schuld daran zu einem großen Teil dieser Unglücksstadt, die nicht ist, was sie sein könnte und die offenbar alle ihre Chancen auf wahre Größe bereits verspielt hat.
Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht ist das ja ein Tritt in den Brüsseler Hintern, in Zukunft alles anders und besser zu machen.
Die Autorin ist Kolumnistin der Jüdischen Allgemeinen. Sie lebt in Antwerpen.