Eine bundes- und europaweite Allianz gegen Antisemitismus will der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, schmieden. »Wir müssen stärker präventiv und proaktiv handeln«, fordert der ehemalige CSU-Staatsminister.
Bayern habe deshalb »einen europaweit einzigartigen proaktiven Weg zur Antisemitismusprävention eingeschlagen«, betont der 58-Jährige. Basis der Arbeit ist für Spaenle die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Sie wurde vor drei Jahren beschlossen und inzwischen von 32 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, darunter der Mehrzahl der EU-Länder. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben sich diese Erklärung 2017 zu eigen gemacht.
MITSTREITER Antisemitismus wird in der IHRA-Erklärung als »eine bestimmte Wahrnehmung von Juden« bezeichnet, »die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen«.
Die Vermittlung dieser Definition von Antisemitismus »dürfen wir nicht nur den Schulen überlassen«, sagte Spaenle der Jüdischen Allgemeinen. »Das ist Aufgabe der Gesellschaft in all ihren Facetten: Sportvereine gehören da ebenso dazu wie Angelvereine oder Imker, Kirchen, Gewerkschaften, Berufs- und Sozialverbände.«
Förmlich haben sich der Spaenle-Initiative in Bayern 14 Organisationen angeschlossen, darunter die Akademie der Wissenschaften, der Landesverein für Heimatpflege, der Bund der Vertriebenen, die Caritas oder der Landesschülerrat. Weitere 44 Organisationen, Verbände und Vereine im Freistaat – vom Alpenverein bis zum Philologenverband – unterstützen die Aktion.
Der Initiative liegt die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zugrunde.
Auch im Bundesgebiet wird die Zahl der Landesregierungen und Verbände größer, die die IHRA-Definition im Rahmen ihrer Arbeit zur Basis machen. In Nordrhein-Westfalen bereitet die seit November 2018 amtierende Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die »förmliche Annahme der IHRA-Definition innerhalb der Landesregierung vor«, sagte ein Sprecher der Landesregierung.
KONZEPT Der Berliner Senat legte bereits im März 2019 die Antisemitismus-Definition der IHRA »als Handlungsgrundlage des Berliner Verwaltungshandelns« fest. Ziel des Berliner Landeskonzeptes zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention sei es, »dass Jüdinnen und Juden sich überall in der Stadt unbesorgt als solche zu erkennen geben können«, sagte ein Senatssprecher. Die Berliner Strafverfolgungsbehörden arbeiteten zudem längst mit dieser Definition.
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) begrüßt die Übernahme der Definition und eine Verwendung durch Polizei, Justiz und im Bildungswesen, weil bei der Entstehung der Arbeitsdefinition Antisemitismus »jüdische Perspektiven auf das Problem beherzigt und alle aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus berücksichtigt« wurden. Die IHRA-Definition gehöre von Anfang an zur Grundlage der Arbeit, betonte RIAS-Sprecher Alexander Rasumny.
In Magdeburg hat der Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus, Wolfgang Schneiß, allen Ministerien und kommunalen Spitzen- und Wirtschaftsverbänden des Landes empfohlen, die »IHRA-Definition bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen«. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat in seinem Konzept »Stopp den Antisemitismus« von September 2018 die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken in erweiterter Form übernommen.
Alle unterstützen die Aktion – vom Alpenverein bis zum Imker.
In Sachsen, wo am 1. September ein neuer Landtag gewählt wurde, sah die bislang regierende schwarz-rote Koalition keinen Handlungsbedarf, sich der IHRA-Definition anzuschließen. In Hamburg wird dagegen an einer eigenen Senatsstrategie zur Bekämpfung von Antisemitismus gearbeitet. Sie soll, so teilt ein Sprecher der Hansestadt mit, zum Jahresende der Öffentlichkeit vorgelegt werden. »Der Senat stellt sich seiner besonderen Verantwortung, jeder Form des Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.«
Zustimmung für die Antisemitismus-Definition kommt aus »kirchlicher Sicht« vom Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Die katholische Kirche wisse sich »der Aufarbeitung des christlichen Antijudaismus verpflichtet, der Juden als von Gott verworfenes Volk darstellt und in dessen Geschichte entsprechende Vorurteile und Stereotype entwickelt wurden«.
Und ein EKD-Sprecher betonte, auch die Evangelische Kirche in Deutschland liege auf der Linie der IHRA. »Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus.«
ZEICHEN Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, ruft dazu auf, »dass möglichst viele weitere staatliche und nichtstaatliche Institutionen ebenfalls aktiv ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen«.
Wichtig sei es zu wissen, welche Meinungsäußerung noch toleriert werden könne und wo die Grenze zu Antisemitismus überschritten werde. »Insbesondere bei der Abgrenzung zulässiger Kritik am Handeln der israelischen Regierung von israelbezogenem Antisemitismus nehme ich große Unsicherheit wahr«, sagte Klein dieser Zeitung.
»Nur wenn sich alle Ebenen der Gesellschaft am Kampf gegen Antisemitismus beteiligen, können wir wirklich etwas erreichen«, stellt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fest. Er begrüßt die Initiative von Ludwig Spaenle, auch Vereine und Verbände zu ermuntern, sich diese Definition zu eigen zu machen. »Die IHRA-Antisemitismus-Definition liefert eine gute Richtschnur für Behörden, Schulen, Polizei und Justiz. Auf dieser Basis können Vorfälle eindeutiger als bisher als antisemitisch eingeordnet werden. Das gilt auch für Israel-bezogenen Antisemitismus.«