Um Daten für einen »angemessenen Umgang« mit Juden zu haben, hat Dennis Giemsch, Mitglied des Rats der Stadt Dortmund für die Partei Die Rechte, dem Oberbürgermeister Fragen gestellt: »Wieviele Menschen jüdischen Glaubens sind aktuell in Dortmund bekannt?« Zusätzlich will er wissen, ob »die Gläubigen registriert« werden und wo sie leben.
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, erklärte: »Dass Neonazis genau wissen wollen, wo und wie viele Juden in der Stadt leben, erinnert uns an schlimmste Zeiten. Diese Vorfälle zeigen wieder einmal, dass Rechtsextreme nichts in unseren Parlamenten zu suchen haben. Sie gehören verachtet und verboten.«
Von einer »neuen Qualität« sprach Hanna Sperling, Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. »So etwas hat es im Nachkriegsdeutschland noch nie gegeben.« In der Jüdischen Gemeinde Dortmund verweist man darauf, dass Antisemitismus kein jüdisches Problem ist: Damit habe sich die Mehrheitsgesellschaft auseinanderzusetzen.
mehrheitsgesellschaft Die reagierte mit Entsetzen: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nannte die Anfrage »widerwärtig«, und Dortmunds CDU-Vorsitzender Steffen Kanitz stellte Überlegungen über ein Verbot der Partei an. Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) sagte, die Anfrage der Neonazis sei »ein Vorgang, der von einem unerhörten menschenverachtenden, antisemitischen und rassistischen Ungeist zeugt«. Die Stadt wolle sie, so sie rechtlich überhaupt zulässig ist, »spartanisch« beantworten. Zudem habe man die Anfrage an den Staatsschutz weitergeleitet.
Dennis Giemsch erklärte derweil, er habe provozieren wollen, und das sei ihm gelungen: »Das Ziel war ein bewusster Tabubruch, der uns mit über 40 Pressemeldungen innerhalb von 24 Stunden auch gelungen ist.« Keine andere rechtsradikale Partei hat den Antisemitismus so ins Zentrum ihrer politischen Arbeit gestellt wie Die Rechte, deren Dortmunder Ableger aus der 2012 verbotenen Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund hervorging.
Nur wenige Tage vor ihrer Anfrage im Stadtrat störten Parteianhänger mit »Nie wieder Israel«-Rufen am 9. November eine Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am jüdischen Mahnmal im Stadtteil Dorstfeld, und in ihrem Onlinemagazin bejubelte Die Rechte ihre Aktion als »Unmutsäußerungen heimattreuer Anwohner«.
strategie Der offene Antisemitismus der Rechten ist Strategie. Als Partei organisierten sich die Dortmunder Neonazis nach dem Verbot ihrer Kameradschaft. Aus ihrer Ablehnung der Demokratie machen sie keinen Hehl, die Vorteile des Parteienprivilegs werden aber genutzt: In Deutschland liegen die Hürden für das Verbot einer Partei deutlich höher als für andere Organisationen, ihre Demonstrationen sind schwieriger zu untersagen.
Das Ziel aller Aktionen der Rechtspartei ist die Vorherrschaft in der deutschen Naziszene. Die Rechte will Kräfte anziehen, denen die NPD nicht radikal genug ist. Je radikaler sich die 2012 von Christian Worch gegründete Partei gibt, um so attraktiver wird sie für das rechte Milieu. Dennis Giemsch, der auch Landeschef der Partei ist, gilt als einer der Vordenker der Naziszene.
Sein Vize Michael Brück betreibt unter der Adresse »antisem.it« einen Onlinehandel. Brück und Giemsch gelten Beobachtern als klug genug, sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen. Beide sind angehende Akademiker, Brück studiert Jura in Bochum, Giemsch Informatik in Dortmund. Ihr langfristiges Ziel ist die bundesweite Führung der Rechtsextremen, und dafür vermeiden sie etwa Vorstrafen.
Provokationen Regelmäßig versucht die Partei, an Wahlen teilzunehmen, in Dortmund und Hamm reichte es für je einen Sitz im Rat. Dort sollen Provokationen für Öffentlichkeit sorgen. Giemsch etwa fragte nicht nur nach Juden, sondern auch, wie viele Aidskranke es in Dortmund gibt und welche Nationalität sie haben.
Auch außerparlamentarisch will Die Rechte ein Klima der Angst erzeugen. Immer wieder kommt es in Dortmund zu Überfällen auf Nazigegner. Und die Verbindungen der braunen Szene zum NSU, der auch in Dortmund einen Anschlag verübte, werden Thema eines Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag sein.