Pro & Contra

Brauchen wir ein Wahlrecht mit 16?

In Brandenburg konnten 16-Jährige bei der Landtagswahl ihre Stimme abgeben. Foto: imago images / Michael Weber

PRO – Anna Staroselski: Über ihre eigene Zukunft sollen Jugendliche selbst mitentscheiden.

Politikverdrossenheit? In meiner Schulzeit war das ein inflationär benutzter Begriff. Besonders die Jugend sei politisch desinteressiert, lautete der Vorwurf. Dabei gab es in meiner Heimatstadt Stuttgart politische Angebote für Schüler en masse. Ich war damals im Jugendrat aktiv. Mit bereits 14 Jahren kann man sich dort ins politische Geschehen der Stadt einbringen und sich zum Vertreter der Jugendlichen wählen lassen.

Demokratisches Wahlverhalten, das man am Beispiel des Bundestags im Unterricht lernte, konnte bei den Jugendratswahlen in den Schulen praktiziert werden. Sogar schon ab 14! Die Stuttgarter Jugendräte trafen sich mit Gemeinderäten und dem Oberbürgermeister und konnten ihre Positionen im politischen Austausch auf Augenhöhe äußern. Eines der Anliegen der Jugendräte war damals das Wählen ab 16. Und tatsächlich durften in Baden-Württemberg 16-Jährige erstmals bei der Kommunalwahl 2014 ihre Stimme abgeben.

Heute ist das Wählen ab 16 in vielen deutschen Bundesländern auf kommunaler und sogar auf Landesebene gelebte Praxis. Auch bei der jüngsten Landtagswahl in Brandenburg durften 16-Jährige mit abstimmen. Die gestiegene Wahlbeteiligung machte sich auch bei den jungen Wählern bemerkbar. Gerade heute sehen wir in der Gesellschaft, wie junge Menschen ihre Forderungen an die Politik stellen, mitgestalten und gehört werden wollen. Wahlen sind ein zentrales Instrument der Demokratie. Sie legitimieren unser politisches System und dienen der Repräsentation einer pluralistischen Gesellschaft und ihrer unterschiedlichen Interessenlagen.

»Das Grundgesetz traut 16-Jährigen bereits viel zu. Sie dürfen sogar Parteien gründen. Es ist absurd, dass sie noch kein volles Wahlrecht haben.«

Doch fraglich bleibt, wie dieses Paradoxon aufzulösen ist, dass einerseits in den Schulen gepredigt wird, wie wichtig soziales und politisches Engagement sei, und dass gleichzeitig weder für Jugendgremien oder -verbände geworben wird, noch sich Schüler rechtlich direkt in die gesellschaftsrelevante Mitgestaltung, durch Wahlen, einbringen dürfen.

Denn nicht nur »Fridays for Future« kann Jugendliche motivieren, politisch aktiv zu werden. Ein steigendes Interesse bei jungen Menschen wird auch für andere europäische, globale und innenpolitische Themen, für Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung, für Themen der Zukunft und Bildung deutlich. In die Jugendorganisationen der Parteien kann man übrigens schon mit 14 Jahren eintreten.

Das Grundgesetz traut 16-Jährigen bereits viel zu. Sie können einer Organspende zustimmen, Führerscheine erwerben, Bier, Wein oder Sekt kaufen und konsumieren und ihr Testament machen. Auch das Strafrecht schützt sie längst nicht mehr so wie Kinder. Minderjährige dürfen sogar Parteien gründen. »Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei«, heißt es in Artikel 21 Grundgesetz. Insofern ist es doch absurd, dass 16-Jährige noch kein volles Wahlrecht haben. Dieses Recht sollte auf alle weiteren Bundesländer und auf die Bundestagswahl übertragen werden!

Die Welt scheint heute so vernetzt, verknüpft und verbunden zu sein wie noch nie, kulturelle Vielfalt wird gelebt. Das Fundament für dieses friedliche, vielfältige und freiheitlich-demokratische Europa ist jedoch die bi- und multilaterale Politik und Zusammenarbeit der Länder. Komplexe Zusammenhange können nicht immer einfach erklärt werden.

Auf schwierige Fragen einfache Antworten zu geben, ist populistisch. Doch liegt es an den Politikern, Themen für die Bevölkerung zugänglich zu machen und verständlich aufzuarbeiten und nicht umgekehrt Beschuldigungen vorzubringen, dass das politische Interesse in der Gesellschaft schwinde oder Politik für Jugendliche zu kompliziert sei. Unsere Politiker wollen ein besseres und faireres Zusammenleben für uns alle schaffen. Unsere Volksvertreter stehen in der Pflicht, unsere Ängste, Wünsche und Forderungen ernstzunehmen – auch die der Minderjährigen.

Im Bundestag stellen die Parteien jeweils jugendpolitische Sprecher. Doch die Jugend liegt bei den meisten schon ein paar Jährchen zurück. Sprechen sie denn mit der jungen Wählerschaft? In der Wirtschaft muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass in wenigen Jahren viele Jobs auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr existieren werden und wir neue Arbeitsformen brauchen – Stichwort Start-ups.

Die Schüler müssen im Vorfeld darauf vorbereitet werden. Statt sturem Pauken sollten lieber Kompetenzen und Kreativität der Schüler gefördert werden. Stellen sich unsere Schulen ausreichend der digitalen Transformation? Wird beispielweise im IT-Unterricht Programmieren, Softwareentwicklung, das Erlernen von Informationssystemen sowie Datenschutz und -verwendung angeboten?

Bei diesen Fragen müssen unsere Schüler mitreden! Was unsere Jugend wirklich für eine in Zukunft funktionierende Gesellschaft braucht, können wir nicht ohne sie entscheiden. Deshalb bin ich für das Wahlrecht ab 16 Jahren. Wir sollten uns trauen, mehr Verantwortung an die Jugendlichen zu übertragen und damit dafür zu sorgen, dass gegenseitiger Respekt, Demokratie und Freiheit auch weiterhin unser politisches Wertesystem prägen.

Die Autorin (23) studiert in Berlin auf Lehramt. Sie ist studentische Mitarbeiterin im Büro des Bundestagsabgeordneten Till Mansmann (FDP) und Vizepräsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).

 

CONTRA – Juri Goldstein: Jüngere Wähler haben weniger Lebenserfahrung und sind leichter manipulierbar.

Persönliche Reife ist ein großer Begriff, der vieles umfasst: selbststän­diges verantwortungsvolles Handeln, die geistige Entwicklung und emotionale Beständigkeit, die Fähigkeit, Folgen abzuschätzen, Entscheidungen zu treffen und dafür einzustehen. Wann ein Mensch diese Reife erreicht, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Es gibt reife Jugendliche und unreife Senioren. Und dennoch kommt persönliche Reife erst mit den Erfahrungen, die das Leben für uns bereithält.

In Deutschland wird das »Mindestalter« der vollständigen persönlichen Reife auf 18 – in manchen gesellschaftlichen Teilbereichen sogar erst auf 21 Jahre – festgesetzt. Selbst 20-Jährige können als sogenannte Heranwachsende noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Dies ist keine Ausnahme, sondern nach meiner Erfahrung als Strafverteidiger fast der Regelfall.

Alleine Autofahren ist erst ab 18 erlaubt, der Genuss brandweinhaltiger Getränke ebenfalls, und auch die volle Geschäftsfähigkeit tritt erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Eine Festlegung, die bereits seit 45 Jahren besteht und die der Gesetzgeber bewusst im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert hat. Hieran sollte sich auch das Mindestalter des aktiven Wahlrechts – zumindest im Land und Bund – bemessen. Denn wer wählt, der trägt aktiv zur politischen Gestaltung seines Bundeslandes, unserer Bundesrepublik bei.

Dieser Beitrag ist wichtig, zukunftsweisend und setzt eben diese gewisse persönliche Reife voraus – eine, die meiner Meinung nach erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit sichergestellt sein kann.

»Vielen Jugendlichen fehlt es an Reife, sie neigen öfter zu Extrempositionen als Ältere. Das zeigen Greta Thunberg und ihre Bewegung ›Fridays for Future‹«.

Der Jugend fehlt es naturbedingt an Wissen, das sich aus Erfahrung speist. Und wer nichts weiß, muss alles glauben. Deshalb spricht man von einer größeren Manipulierbarkeit junger Wähler. Winston Churchill soll gesagt haben: »Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz. Wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn.« Dieses geflügelte Wort bringt es auf den Punkt: Jugend und Reife schließen einander in der Regel aus.

Dies ist keine Kritik an unseren Jugendlichen, sondern ein Faktum, das es zu akzeptieren gilt. Ein Fakt, den man »der Jugend« (wo auch immer Jugendlichkeit beginnt und endet) nicht zum Vorwurf machen kann. Schließlich ist es vollkommen legitim, sich auszuprobieren, zu provozieren, Argumente radikal zuzuspitzen und gegen bestehende Verhältnisse zu rebellieren. Und so neigen Jugendliche öfter zu Extrempositionen als Ältere. Doch ihre Beweggründe taugen nicht als politische Richtschnur.

Das zeigen Greta Thunberg und ihre, wie ich finde, ökohysterische Bewegung »Fridays for Future« ganz deutlich. Thunberg sagte: »Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.« Doch ich finde: Panik und Angst sind keine guten Ratgeber. Sie verleiten Menschen zu extremen und irrationalen Handlungen.

Wer in der politischen Debatte Ängste schürt, egal ob vom rechten oder linken Rand aus, dem sollte man mit Skepsis begegnen. Auch »Fridays for Future« sollte sich das zu Herzen nehmen. Um Klimaprobleme zu lösen, muss man mehr tun, als Ängste zu bedienen.

Man muss dem Kohle-Kumpel gegenübertreten, der um seinen Job bangt. Man muss sich der Familie stellen, die sich das Heizen kaum noch leisten kann. Man muss in die Handwerksbetriebe gehen, die immer mehr für Strom bezahlen. Man muss aufs Land gehen, wo Windräder und Stromtrassen die Landschaft zerschneiden, damit der umweltbewusste Großstädter seinen Ökostrom beziehen kann. Politik ist kein Selbstfindungstrip. Sie dient allein dem demokratischen Ausgleich von Interessen, der ohne Erfahrung und persönliche Reife nicht gelingen kann.

Auch sollte den Jugendlichen ihre Unbeschwertheit nicht geraubt werden, indem ihnen Verantwortung übertragen wird, der sie noch nicht gerecht werden können. 2013 nahmen von allen Wahlberechtigten zwischen 18 und 21 gerade einmal 7,3 Prozent an der Bundestagswahl teil. Die Jugendlichen fühlen sich selbst anscheinend überfordert, eine fundierte Wahlentscheidung treffen zu können. Oder es fehlt ihnen die Lust an der politischen Partizipation.

Daher ist es ein Trugschuss, zu glauben, dass das Wahlrecht ab 16 weniger Stimmenanteile für Extremisten bedeutet. Denn wenn populistische Kampagnen Jugendliche einfangen und der Rest aus Desinteresse zu Hause bleibt, dann steigt mit dem Einführen der Wahl ab 16 auch die Zustimmung für Parteien am rechten und linken Rand.

Nur auf kommunaler Ebene habe ich geringere Bedenken gegen das Wahlrecht ab 16. Hier sind Jugendliche mit Themen konfrontiert, bei denen sie durchaus mitreden können. Kommunalpolitik beginnt zu Hause und erstreckt sich über alle Themen des unmittelbaren Lebensumfelds: Schulsanierung, Spiel- und Fußballplätze, Parks und Grünanlagen, Skateboardplätze und Fahrradwege. Diese Fragen beschäftigen Jugendliche jeden Tag auf ihren Schulwegen und in der Freizeit, liegen näher und sind verständlicher als solche, die auf Landes- oder Bundesebene entschieden werden müssen.

Der Autor (36) ist Rechtsanwalt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Erfurter Stadtrat.

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