Israel ist Europas Schutzschild. Das behauptet Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und argumentiert dabei wie folgt: Ohne Israel würde der westliche Nahe Osten zusammenbrechen. Dann würden noch einmal 100 Millionen Menschen zu denen hinzukommen, die bereits im Sog des islamistischen Mahlstroms stecken. Mit neuen Flüchtlingsfluten nach Europa sei zu rechnen. Indem sich Israel verteidige, schütze es zugleich Europa.
Netanjahu ergänzt, dass Israel, Jordanien und Ägypten gleichermaßen vom Islamischen Staat (IS) bedroht würden. Der stehe bereits auf den Golanhöhen, kämpfe im Sinai gegen Ägypten und bereite sich auf die gewaltsame Unterwanderung Jordaniens vor. Ohne Israel könne man die Ausdehnung des IS nicht verhindern. Man stelle sich vor, der IS brächte die Bevölkerung dieser Länder unter seine Herrschaft. Sie würde fliehen. Wohin? Natürlich nach Europa, das deshalb Ägypten, Jordanien und natürlich Israel den Rücken stärken müsse.
islamisten Jenseits der europapolitischen Schlussfolgerungen ist dies zu beachten. Hier wird aus erster Hand sozusagen amtlich und unumwunden bestätigt, was hier und dort zu lesen ist, gemunkelt und üblicherweise nur andeutungsweise ausgesprochen wird: dass arabische Staaten wie Ägypten und Jordanien mit Israel sicherheitspolitisch eng zusammenarbeiten, um sich gegen die Islamisten zu behaupten.
Wer zudem genau hinhört und liest, was aus Nahost kommt, wird weitere Fakten ergänzen, die bislang nur angedeutet werden: Saudi-Arabien, die Golfstaaten, Marokko und Tunesien suchten und fanden israelische Hilfe im Kampf gegen die Geister, die sie zum Teil seit Jahrzehnten selbst gerufen hatten: Islamisten.
Machen wir uns nichts vor: Die palästinensische Selbstregierung im Westjordanland gäbe es ohne israelische Hilfe nicht mehr. Hamas & Co. hätten sie längst weggefegt, wie 2007 aus dem Gazastreifen. Der Hamas wiederum drohen angesichts des IS-Vormarschs im Gazastreifen und Westjordanland, die Felle wegzuschwimmen. Daraus folgt: Die europa- und deutschlandübliche Nahostanalyse und -politik – hier Israel, dort die Araber oder Palästinenser – gehört auf den Abfallhaufen. Sie bezieht sich auf Theaterdonner, nicht auf das faktische Geschehen hinter den Kulissen.
diktatoren Bleibt die Eingangsfrage: Trifft Netanjahus Behauptung zu, dass Israel Europa schützt? Die Antwort lautet: ja und nein. Nein, weil Sieg oder Niederlage des IS oder der arabischen Diktatoren wahrlich nicht von Israel, sondern von den jeweiligen innenpolitischen Kräften in Nahost abhängt. Gegen revolutionäre Massen helfen langfristig keine Bomben. Auch keine aus den USA, Russland, Frankreich, Großbritannien oder deutsche Tornados.
Revolutionen können von außen angestoßen, beschleunigt oder verlangsamt, doch nicht entschieden werden. Das bedeutet zugleich: Netanjahus Behauptung entspricht zum Teil den Tatsachen. Ja, der Fortgang innerarabischer und innerislamischer Kriege und Bürgerkriege wird Millionen Menschen (aber keine 100 Millionen) aus Nahost nach Europa (ver-)treiben. Anders als jahrzehntelang behauptet, haben diese Kriege, Riesenprobleme und Massenvertreibungen nichts mit dem Israel-Palästina-Konflikt zu tun.
Ja, Israel hilft den pragmatischen, prowestlichen Nahoststaaten gegen die Islamisten. Diese Kooperation ist weder alt noch ganz neu und eigentlich bekannt, doch eben nicht allen. Weder allen Politikern noch Meinungs(mit)machern. Aus taktisch-opportunistischen Gründen sagen es auch manche, die es wissen, nicht. Das wiederum bedeutet: Netanjahu signalisiert Europa, nicht zuletzt der wortstarken Israel-Boykott-Bewegung, dass eine zunehmende Distanzierung und Diffamierung von Israel einen Preis hat – den Europa zu zahlen hätte. Die Europa-Israel-Straße ist nicht nur einspurig.
warnung Großspurig war Netanjahus Warnung keineswegs. Er hat Deutschland und Europa gegenüber noch andere Pfeile im Köcher. Auch die sind sehr real und alles andere als fiktional: Im Kampf gegen den islamistischen Terror wären Europa und Deutschland ohne Israel und die USA aufgeschmissen. Das gilt für Information, Prävention und Intervention, für Software und Hardware, fürs Personal und Material. Daran wollte, daran hat Netanjahu Europas Planer, Entscheider und (Meinungs-)Macher erinnert.
Netanjahu ist ein »harter Knochen«, und in seiner Regierung gibt es noch härtere. Keiner von ihnen ist willens, auf Dauer Europas Fußmatte zu sein oder, auf Jiddisch, »Makkes und faule Fisch« zu bekommen. Das mag gefallen oder nicht. So ist es. Wie im echten Leben hat das Überleben im Antiterrorkampf seinen Preis. Sicher ist er manchen Europäern zu hoch. Dann aber werden sie wohl oder übel einen anderen zahlen: mehr Militär, mehr Polizei, mehr Geheimdienste – weniger Geld für Soziales.
Der Autor ist Historiker und Publizist. Soeben erschien sein Buch »Zivilcourage. Wie der Staat das Leben seiner Bürger riskiert«.