Mit einer Auflage von mehr als 20.000 Exemplaren geht das »Deutsche Pfarrerblatt« allmonatlich in die Briefkästen. In der August-Ausgabe bekam jeder evangelische Geistliche in Deutschland dies zu lesen: »Die Landnahme ist das oberste Ziel israelischer Politik.« Von »jüdischen Gewaltakten« und »palästinensischem Widerstand« berichtet der pensionierte Pfarrer Jochen Vollmer. »Als jüdischer Staat«, erfährt der Leser von dem Theologen, sei Israel »zwangsläufig mit der Vertreibung und Unterdrückung der nicht-jüdischen einheimischen Bevölkerung« beschäftigt.
schwachsinn »Das ist eine Ungeheuerlichkeit«, urteilt Rabbiner Henry G. Brandt, jüdischer Präsident im Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. »Es ist die Meinung eines Verblendeten.« Freilich stehe er für eine bestimmte Strömung in Deutschland, »nicht nur in der evangelischen Kirche, auch beispielsweise in der Linkspartei«. Historisch erkennt Brandt in Vollmers Aufsatz »eklatanten Schwachsinn«, theologisch hält er ihn für eine »Travestie des Judentums«.
Empörung hat Vollmers Text, der sich mit 33 Fußnoten wissenschaftlich gebärdet, auch in der evangelischen Kirche ausgelöst. Ricklef Münnich, evangelischer Präsidentenkollege von Brandt, regt sich über das Pfarrerblatt auf. »Politisch ist das ein Schulterschluss mit der Hamas«, sagt Münnich. »Eine ›rote Linie‹ ist überschritten worden.«
Auch theologisch lehne Vollmer das Volksein Israels ab, indem er die Juden ins Exil wünsche. Münnich und der Koordinierungsrat haben sich öffentlich an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gewandt. Sie verlangen vom EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider eine »klärende Stellungnahme« in dieser »außerordentlich verstörenden Angelegenheit«.
distanz »Herr Schneider wird antworten«, sagt Reinhard Mawick, Sprecher der EKD. Distanzieren will sich die EKD aber nicht. »Die Zeitung hat mit uns nichts zu tun«, sagt Mawick und fügt – durchaus mit Distanz – hinzu: »Das Pfarrerblatt muss selbst verantworten, was es druckt.«
Mit der EKD hat das Blatt tatsächlich nichts zu tun, es ist das Organ des Deutschen Pfarrerverbandes, einer berufsständischen Vertretung der evangelischen Geistlichen. Verbandsvorsitzender Klaus Weber weist »alle Versuche zurück, unserem Verband eine israelfeindliche Linie zu unterstellen«; dieser stünde voll aufseiten der Erklärungen der EKD und der Synoden, dass an Israels Existenzrecht nicht gerüttelt werden dürfe. Aber, sagt er, »wir bieten auch Raum für unbequeme Positionen«.
Seit wenigen Jahren ist Peter Haigis Schriftleiter des Pfarrerblattes. »Ich war überrascht, dass sich der Koordinierungsrat nicht bei mir gemeldet hat, sondern dass es direkt an den EKD-Ratsvorsitzenden ging«, sagt er. Dass der von ihm verantwortete Text antisemitisch ist, bestreitet Haigis. »Wer das behauptet, hat den Beitrag nicht zu Ende gelesen.« In Deutschland wisse man, dass »die Verbindung von Thron und Altar, von Politik und Kirche, problematisch ist«.
Im jüdischen Staat aber sei die Trennung nicht vollzogen worden, davon handele der Aufsatz. Außerdem seien in den letzten Jahren auch klar proisraelische Beiträge erschienen. Jüngst sei es des Öfteren um das »Kairos-Dokument« palästinensischer Christen gegangen. »Da hat Vollmer zu mir gesagt, dass er etwas schreiben möchte.«
widerstand In dem Papier aus dem Jahr 2009 wird Israel vorgeworfen, den »bewaffneten Widerstand« der Palästinenser »als Vorwand« für seine Gewalt zu nutzen.
Rabbiner Brandt erkennt eine Verwandtschaft zwischen Vollmers Text und dem Kairos-Papier. »Beides ist der Versuch, eine politische Stellungnahme theologisch zu verbrämen.«
Und der Potsdamer Judaist Karl E. Grözinger sieht Vollmers Thesen als »parteiischen Hass gegen die Juden, die sich erlauben, sein zu wollen, wie sie es selbst für richtig erachten und nicht, wie der christliche Theologe ihnen diktiert«.