Zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Linkspartei kracht es gewaltig. Dieter Graumann wirft Teilen der Genossen Antisemitismus und »blindwütigen Israel-Hass« vor. »Der alte antizionistische Geist der DDR spukt noch in der Partei«, schrieb der Zentralratspräsident in einem Gastbeitrag für die Montagsausgabe der Süddeutschen Zeitung. »Paradoxerweise sind es heute vor allem Vertreter aus dem Westen, die ihren geradezu pathologischen, blindwütigen Israel-Hass ausleben.« Leider würden genau »diese Betonköpfe« die Zuständigkeit für die Nahostpolitik in der Linken beanspruchen.
Pathologisch Die Reaktion der Partei-Doppelspitze folgte prompt. Klaus Ernst warf einen Tag später Graumann Diffamierung der Linken vor. Er rief den Zentralratschef in den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe dazu auf, »die Niederungen der Parteipolitik schnell wieder zu verlassen«.
Die Kritik sei »in Form und Inhalt vollkommen unangemessen«. Graumann schade seinem Anliegen, »wenn er den Antisemitismusvorwurf inflationiert, ohne ihn klar zu definieren«, polterte Ernst. Und der Landesvorsitzende der Linken in Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn, betonte: »Wir haben zum Teil unterschiedliche Positionen zum Nahostkonflikt. Aber pathologische Israel-Hasser haben wir nicht.«
Jan Korte, der für die Partei im Bundestag sitzt, ist da anderer Meinung. »Wenn der führende Repräsentant der Juden in Deutschland eine solche Kritik äußert, dann sollten wir das sehr ernst nehmen«, sagte Korte der Jüdischen Allgemeinen. »Wir müssen das diskutieren, am besten mit Herrn Graumann.« Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht das ähnlich. Die Kritik an antisemitischen Tendenzen in der Partei hält er für berechtigt.
Der Zentralrat habe der Linken »etwas ins Stammbuch geschrieben, das wir sehr, sehr ernst nehmen sollten«, sagte Bartsch der Mitteldeutschen Zeitung. Die Linke habe an dieser Stelle ein Problem, auf das sie mit der jüngsten Resolution der Fraktion angemessen reagiert habe. Der thüringische Linksfraktionschef Bodo Ramelow geht noch einen Schritt weiter. Er spricht sich dafür aus, die Anerkennung des Existenzrechts Israels im Parteiprogramm zu verankern. Auch die historische Bedeutung der Schoa und die deutsche Verantwortung dafür müssten erwähnt werden, sagte Ramelow »Zeit Online«.
Es hagelt ohnehin derzeit Stellungnahmen zu diesem Thema aus allen Richtungen innerhalb der Partei: In einem offenen Brief, der unter anderem von Ellen Brombacher (Kommunistische Plattform) und dem Rechtsanwalt Friedrich Wolff unterzeichnet ist, wird zum Beispiel vorgeschlagen, die umstrittene Forderung nach dem Boykott israelischer Waren durch »keine von Siedlern in den besetzten Gebieten produzierte Waren« zu ersetzen.
Die Debatte war vor einigen Wochen durch eine Studie der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn und Sebastian Voigt mit der Überschrift »Antisemiten als Koalitionspartner?« erneut entfacht worden. Der »antizionistische Antisemitismus« sei in der Linken inzwischen zu einer »weitgehend konsensfähigen Position« geworden, heißt es darin.
Missglückt Dem pflichtet Graumann bei. Man fände eine Reihe von Äußerungen und Taten in der Linken, die »mehr als nur ein wenig antisemitische Züge aufweisen«, schreibt der Zentralratspräsident. Zwar würde es einige Spitzenpolitiker geben wie Fraktionschef Gysi, die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die die Partei »aus dem Kerker des Israel-Hasses« befreien wollten. »Aber der große Befreiungsschlag ist einstweilen spektakulär missglückt.«
Inzwischen fordert auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, die Spitze der Linkspartei müsse »eine umfassende Diskussion über die fatale Erbschaft« einleiten. Diese Erbschaft sei eine doppelte, sagte der SPD-Politiker der Jüdischen Allgemeinen: Einerseits handele es sich um den Antizionismus des SED-Regimes, andererseits um den der Linksradikalen. Da Parteichef Ernst vollkommen unangemessen auf Graumanns kritische Mahnung reagiert habe, nähre das den Verdacht, »dass sich jemand ertappt fühle«.
In der Linken wird hinter vorgehaltener Hand vermutet, Gysi habe sich das Antisemitismus-Thema ausgesucht, um die Fraktion auf Linie zu bringen und weil er nicht damit rechnete, dass es gerade bei diesem Thema größeren Widerstand geben würde. Da scheint er sich getäuscht zu haben.
Hintergrund des Streits sind einige Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit. Im Januar 2010 waren drei Parlamentarier am Schoa-Gedenktag bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten Schimon Peres im Bundestag demonstrativ sitzen geblieben. Eine Bundestagsabgeordnete trug im Mai während einer Ansprache bei einer pro-palästinensischen Veranstaltung einen Schal, der den Nahen Osten ohne den Staat Israel zeigte. Und sowohl Bremer als auch Duisburger Linke hatten zum Boykott von Waren aus Israel aufgerufen.
Weitere Beiträge zum Thema »Antisemitismus bei der Linkspartei«:
Interview mit Sahra Wagenknecht (02.06.11)
»Konstruierte Vorwürfe«
Sahra Wagenknecht über Antisemitismus in der Linkspartei, Kritik an Israel, die Gaza-Flottille und Boykottaufrufe
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Einspruch von Tobias Kaufmann (26.05.11)?
Wer sie gewähren lässt
Tobias Kaufmann wirft der Linkspartei vor, zu wenig gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen zu tun
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Zur Antisemitismus-Studie (26.05.11)
»Sie duldet Antisemitismus«
Eine neue Studie über Judenfeindlichkeit in der Linkspartei
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Die Psychologie des linken Antisemitismus (05.05.11)
Kollektiv contra Israel
Zur Psychologie des linken Antisemitismus?
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Aufruf Warenboykott Israel (17.03.11)
Linke kaufen nicht bei Juden
Initiativen rufen zum Boykott israelischer Produkte auf?
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??Die Linkspartei und ihr Anti-Israelismus-Problem (04.06.09)
Feuerdrache Zion
Hat »Die Linke« ein Anti-Israelismus-Problem? Nein, beteuert die Führungsriege. Doch die Partei der Genossen ist zerrissen. Ein Vormittag an der Basis
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Interview mit Dieter Graumann (15.01.09)
»Der böse Israelhass lebt munter fort«
Dieter Graumann über die Linkspartei, Gaza und Solidarität
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Interview mit Gregor Gysi (12.06.08)
»Mit linken Stereotypen aufräumen«
Gregor Gysi über Antizionismus in seiner Partei, Solidarität mit Israel, deutsche Staatsräson und Boxen
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