Die Jewrovision, die Grundsteinlegung für die Jüdische Akademie oder die Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Hans-Joachim Watzke, den Vorsitzenden der Geschäftsführung des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund, – das Jahr 2024 war eines mit vielen erfreulichen Terminen. Es war aber auch ein Jahr der Sorgen, der Ängste, der Trauer – wegen des entfesselten Judenhasses, des Krieges in Nahost, des wieder erstarkten Rechts- und Linkspopulismus.
Zentralratspräsident Josef Schuster blickte in seiner Rede zur Eröffnung der Ratsversammlung 2024 in München auf ein Jahr zurück, das noch immer im Schatten der Angriffe der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 steht.
»Der 7. Oktober 2023 hat Wunden aufgerissen, die nur langsam verheilen, und es gibt zudem einige, die an diesem Heilungsprozess kein Interesse haben, sondern aktiv jüdisches Leben infrage stellen«, betonte Schuster. Es sei eine Entwicklung beschleunigt worden, die sich bereits abgezeichnet hatte.
Ron Prosor: »Die Würfel sind gefallen. Man kann nicht wieder zurück.«
Zudem habe sich eine Querfront von links bis rechts, von einem muslimisch-islamistischen Milieu bis in die Mitte der Gesellschaft gebildet, »die die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens der Gegenwart sowie der Erinnerungskultur in Deutschland infrage stellt«. Es sei ein Jahr gewesen, das die Arbeit der Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland »enorm gefordert hat – und diese Zeit ist noch nicht vorbei«.
Auch der erste Gastredner des Tages, der israelische Botschafter Ron Prosor, ging auf die Auswirkungen des 7. Oktober 2023 ein. »Dieses Jahr hat uns alle ein paar Dinge gelehrt«, sagte er. Ähnlich wie 49 v.d.Z, als Caesar den Rubikon überschritten hatte, heißt es seit dem 7. Oktober 2023: »Die Würfel sind gefallen.« Man könne nicht wieder zurück.
Markus Söder: »Jüdisches Leben hat das Recht, sich in Deutschland zu entwickeln.«
Nicht nur ein »staatliches Schutzversprechen«, sondern auch ein »persönliches Engagement-Versprechen« gab der zweite Gastredner des Sonntags ab, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Söder sagte, er habe nie gedacht, dass jüdisches Leben noch einmal so gefährdet sein würde.
Scharfe Kritik übte Söder an den Äußerungen der Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die vergangene Woche betont hatte, dass Juden und Homosexuelle in manchen Teilen der Hauptstadt nicht sicher seien. Das sei eine »Kapitulation vor Gewalt und eine Kapitulation vor Antisemitismus«, unterstrich Söder. Jüdisches Leben habe das Recht, sich in Deutschland zu entwickeln.
Bayerns Ministerpräsident bekräftigte: »Wir stehen zu Israel und zu dem Recht auf Selbstverteidigung.« Der CSU-Politiker sagte: »Ich finde es befremdlich, wenn der Internationale Strafgerichtshof Israel und die Hamas gleichsetzt.« Der Strafgerichtshof habe sich »in diesem Maß massiv selbst beschädigt«.
Der Schutz jüdischen Lebens in Bayern stehe ganz oben an: »Wir müssen nicht nur die Einrichtungen schützen, sondern auch im Netz dagegen vorgehen.« Radikalisierungen geschähen nicht »über Nacht«.
»Nur zu mahnen, das reicht nicht. Machen ist angesagt. Herzlich willkommen in Bayern«, betonte Söder zum Abschluss seiner Rede, für die er stehende Ovationen erhielt. In einer anschließenden Fragerunde stellte Söder auf die Frage eines Delegierten zum jüngsten Beschluss des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) klar: »Ich hielte es für absurd, wenn auf deutschem Boden der Regierungschef von Israel verhaftet werden würde.«
Insgesamt 92 Delegierte waren am Sonntag in den Hubert-Burda-Saal der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gekommen, um nicht nur auf dieses Jahr zurückzublicken, sondern auch, um aktuelle Anliegen der jüdischen Gemeinschaft zu diskutieren.
Für die Orthodoxe Rabbinerkonferenz (ORD) sprach Militärbundesrabbiner Zsolt Balla, der seine Rede mit der schockierenden Nachricht über die Ermordung des Chabad-Gesandten in Dubai beginnen musste. Balla schickte im Namen aller die »tiefste Kondolenz« an die Familie Kogan.
Rabbinerin Elisa Klappheck, die Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK), betonte in ihrer Rede vor allem die Notwendigkeit, dass sich das Judentum in aktuelle gesellschaftliche Debatten einbringen sollte. Zudem sei die Lebendigkeit des Judentums eines der zentralen Anliegen.
Freiheitliche Werte
Traditionell beginnt die Ratstagung bereits am Abend zuvor, am Samstag nach Schabbatende mit einem Abendessen der Delegierten, das in diesem Jahr von einer Rede des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Carsten Breuer, begleitet wurde.
Breuer beschönigte nichts, als es um die aktuelle Bedrohung der Freiheit der westlichen und freiheitlich-demokratischen Welt ging. Er fragte: »Sind wir bereit zu kämpfen? Sind wir bereit, für unsere Demokratie einzustehen? Die beste Abschreckung ist eine resiliente Gesellschaft.« Man müsse heute wieder »um unsere Werte kämpfen«. Diese Aufgabe könne aber nicht nur allein auf den Schultern der Soldaten liegen, betonte Breuer.
Und manchmal kommen Freiheit, Dialog und Verständigung auch mit ganz kleinen Gesten. So wie die, die Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, am Samstagabend beschrieb. Eine Initiative der B’nai B’rith Loge München, die unter dem Motto »Coffee with a Jew« Passanten einlädt, mit Jüdinnen und Juden ins Gespräch zu kommen - und von nichtjüdischen Münchnern rege angenommen wird.
»Redet mit uns, nicht über uns! Wir laden dich auf einen Kaffee und ein Gespräch ein!«, heißt es auf dem Instagram-Account von »Coffee with a Jew«. Vielleicht kann ein Gespräch nicht schöner beginnen. Die Tasse dafür könnte Markus Söder schon einmal bereitstellen: Als Geschenk erhielt der leidenschaftliche Comic- und Marvel-Fan eine Avengers-Tasse.
Lesen Sie einen ausführlichen Bericht über die Ratsversammlung in unserer nächsten Printausgabe.