Staatsbürgerschaft

Beziehungsweise

Doppelpass: Der aktuelle Fall eines Israelis in Berlin hat die Diskussion neu entfacht. Foto: Thinkstock

Staatsbürgerschaft

Beziehungsweise

Israelis, die einen deutschen Pass beantragen, gehen oft leer aus. Darüber gibt es eine Debatte

von Jérôme Lombard  21.11.2019 10:39 Uhr

Israeli und Deutscher sein – geht das? Jein! So muss mit Blick auf die geltende Rechtslage die unbefriedigende Antwort lauten. Denn obwohl es Schätzungen zufolge einige Tausend Israelis gibt, die neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, gilt diese Möglichkeit nicht grundsätzlich für alle.

Der aktuelle Fall eines Israelis, der in Berlin die deutsche Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung seiner israelischen beantragen wollte, hat ein Schlaglicht auf die Problematik geworfen – und die politische Debatte in puncto israelisch-deutschem Doppelpass neu entfacht.

Mitte September war bekannt geworden, dass der Einbürgerungsantrag des Israelis Raymond Chemo von der zuständigen Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport abgelehnt worden war. Die Begründung: Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht akzeptiert grundsätzlich keine doppelten Staatsangehörigkeiten. Ausnahmeregelungen sieht der Gesetzgeber nur für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) sowie die Schweiz vor.

INTEGRIERT Der 35-jährige Chemo, der neben dem israelischen auch den britischen Pass besitzt, lebt seit 2006 in Berlin. Dort ist er als hoch qualifizierte Fachkraft bei einem Musiksoftware-Unternehmen tätig. Den Antrag auf Einbürgerung hatte der junge Mann gestellt, »um mit allen politischen und sozialen Rechten dazuzugehören«, wie sein Anwalt Christoph Tometten sagt.

Chemo lebe gerne in Berlin und habe vor, zu bleiben. Seine israelische Staatsangehörigkeit wolle Chemo nicht aufgeben, da er sowohl familiär als auch emotional mit dem jüdischen Staat verbunden sei. »Wenn die Behörden nur wollen, kann bei israelischen Staatsangehörigen die Mehrstaatigkeit schon nach geltendem Recht hingenommen werden«, sagt Anwalt Tometten.

»Israel muss uns genauso am
Herzen liegen wie die Schweiz«, meint Volker Beck.

Das sieht die Berliner Innenverwaltung unter Berufung auf das bundesdeutsche Staatsbürgerschaftsrecht anders. In einem Schreiben der Behörde an Tometten, das der Jüdischen Allgemeinen vorliegt, heißt es, dass das Gesetz »in Bezug auf die israelische Staatsangehörigkeit keine generelle Ausnahme vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit« vorsieht.

Nun ist weder Israel noch die Schweiz Mitglied der EU. Allerdings lässt das Gesetz in einigen Fällen weitere Ausnahmen zu. Unter anderem, wenn mit dem Verzicht auf die Staatsbürgerschaft erhebliche Nachteile für die Person in der alten Heimat entstehen. Letzteres sei für seinen Mandanten der Fall, schildert Tometten.

rechtslage Wenn die Rechtslage dermaßen strikt ist, wie kann es dann sein, dass zwischen 1990 und 2015 bundesweit mehr als 90 Prozent der Einbürgerungsbewerber, die einen deutschen Pass zusätzlich zu ihrem israelischen beantragten, der Doppelpass genehmigt wurde? Hier kommt der sogenannte Wiedergutmachungsgedanke zum Tragen. Das heißt im Klartext: Wenn ein Israeli einen familiären Bezug zu Deutschland und den Verbrechen der Nationalsozialisten hat, kann er den Doppelpass bekommen.

Nun komme der Wiedergutmachungsgedanke nach Aussage von Anwalt Tometten bei Chemo nicht unmittelbar zum Tragen, da weder er noch seine Vorfahren von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Aber, sagt der Jurist: »Es gibt durchaus Spielraum.«

Mittelbar sei der Wiedergutmachungsgedanke sehr wohl auch auf europäische Juden, deren Familien keinen unmittelbaren Bezug zum einstigen NS-Herrschaftsbereich haben, anwendbar. Immerhin war es das Ziel der Nationalsozialisten, das Judentum als Ganzes auszulöschen. »Die Schoa prägt nicht bloß die Überlebenden und ihre Nachfahren, sondern alle Jüdinnen und Juden«, sagt Tometten.

WIEDERGUTMACHUNG Die Einbürgerung von Juden unter Beibehaltung ihrer israelischen Staatsbürgerschaft sei daher besonders geeignet, die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu stärken und »damit einen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten«.

Inzwischen hat der Anwalt eine Petition beim Berliner Abgeordnetenhaus eingereicht, in der er die Abgeordneten auffordert, der Innenverwaltung Druck zu machen, Chemo den Doppelpass zu gestatten.

Politische Unterstützung kommt von Volker Beck, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen und Lehrbeauftragter des Centrums für Religionswissenschaftliche Studien CERES der Ruhr-Universität Bochum. »Israel muss uns genauso am Herzen liegen wie die Schweiz«, sagt Beck. Die Möglichkeit eines israelisch-deutschen Doppelpasses ohne Bezugnahme auf individuelle biografische Hintergründe würde die »besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel unterstreichen«, so der Ex-Parlamentarier.

Bereits im Bundestag hatte sich Beck für eine Ausnahmeregelung für israelische Staatsbürger im deutschen Staatsbürgerschaftsgesetz ausgesprochen.

Bereits im Bundestag hatte sich Beck für eine Ausnahmeregelung für israelische Staatsbürger im deutschen Staatsbürgerschaftsgesetz ausgesprochen. »Um die freundschaftlichen und gesellschaftlichen Bande zwischen den beiden Ländern zu stärken, wäre eine solche Änderung eine gute Sache«, sagt Beck.

gesetzesänderung Auch Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der Berliner SPD-Fraktion und damit Adressat der Anwaltspetition, hat Sympathie für eine entsprechende Gesetzesänderung. »Es gibt gute Gründe dafür, Jüdinnen und Juden mit israelischer Staatsangehörigkeit die Einbürgerung in Deutschland unter Beibehaltung ihres Passes zu ermöglichen«, sagt Kohlmeier.

Damit eine solche Regelung für israelische Staatsangehörige juristisch machbar sei, müsse sie aber gut begründet werden. »Der alleinige Bezug auf die Vergangenheit reicht hierfür nicht aus«, gibt der Sozialdemokrat zu bedenken.

Maya Zehden vom Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Berlin-Brandenburg findet, dass es eigentlich gar keiner Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts bedarf. »Anträge israelischer Staatsbürger auf den deutschen Pass sollten grundsätzlich wohlwollend behandelt werden«, meint Zehden.

Zusätzlich zum Wiedergutmachungsgedanken sieht Zehden hierfür die deutsche Staatsräson als ausschlaggebend an. »Wenn die Bundesrepublik es ernst meint mit der Solidarität mit Israel, sollte eine doppelte Staatsbürgerschaft unserer beiden Länder doch gar keine Frage sein.«

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert