Jugendstrafe im Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin gefordert: Die Staatsanwaltschaft hat im Verfahren gegen eine 97 Jahre alte ehemalige Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof eine Strafe von zwei Jahren auf Bewährung gefordert. Staatsanwältin Maxi Wantzen sagte am Dienstag vor dem Landgericht Itzehoe, sie sei überzeugt, dass die Angeklagte sich der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht habe. »Dieses Verfahren ist von herausragender historischer Bedeutung«, sagte die Staatsanwältin. Es sei möglicherweise das letzte Verfahren dieser Art.
Die Angeklagte Irmgard F. arbeitete von Juni 1943 bis April 1945 im Alter von 18 bis 19 Jahren als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers bei Danzig. Weil sie damals noch so jung war, forderte die Staatsanwältin eine Verurteilung der Frau nach Jugendstrafrecht. »Es kann keinen gerechten Schuldausgleich und keine Wiedergutmachung des NS-Unrechts geben«, sagte Wantzen.
Irmgard F. sorgte nach Überzeugung der Anklage mit ihrer Schreibarbeit dafür, dass der Lagerablauf aufrecht erhalten werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen. Die Angeklagte hatte sich in dem seit mehr als einem Jahr laufenden Prozess nie zu den Vorwürfen gegen sie geäußert.
Vor dem Plädoyer hatte der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Dominik Groß einen Antrag auf Ablehnung des historischen Gutachters Stefan Hördler zurückgewiesen. Der Verteidiger der Angeklagten, Wolf Molkentin, hatte dem Sachverständigen mangelnde Unvoreingenommenheit vorgeworfen.
Wantzen stützte sich in ihrem Plädoyer in weiten Teilen auf Hördlers Angaben zur Organisation von Konzentrationslagern und zur Rolle von Schreibkräften in den Kommandanturen. Irmgard F. habe als einzige Sekretärin des Kommandanten von den lebensfeindlichen Bedingungen im Lager und von den Morden wissen müssen. Sie habe aus ihrem Arbeitszimmer im ersten Stock des Kommandanturgebäudes weite Teile des Lagers einsehen können, darunter einen Platz, an dem neue Gefangene ankamen und selektiert wurden. Das Gericht hatte sich bei einem Ortstermin in der Gedenkstätte einen Eindruck von den Gegebenheiten gemacht.
Außerdem habe die Angeklagte den fast ständig vorhandenen Rauch vom Verbrennen der Leichen im Krematorium und auf einem Scheiterhaufen sehen und vor allen riechen müssen, sagte Wantzen. Sie halte es »für völlig lebensfremd«, dass ihr das entgangen sei. Nach Hördlers Angaben wurden mindestens 300 Gefangene in dem Lager durch Genickschuss ermordet, fast 1100 mit Gas und mehr als 9000 durch lebensfeindliche Bedingungen wie Unterernährung.
Auch wenn die Angeklagte das eingezäunte Lager nicht betreten habe: »Das war aus meiner Sicht nicht erforderlich, um Kenntnis von den Massenmorden zu haben.« Sie sei überzeugt, dass Irmgard F. vor allem im Winter 1944/45 die unzureichend gekleideten und ausgemergelten Gefangenen gesehen haben muss.
Wantzen wies noch einmal darauf hin, dass frühere Aussagen der Angeklagten nicht verwertet werden durften, weil sie damals als Zeugin befragt worden war. Für das Verfahren wäre es aus ihrer Sicht gut gewesen, wenn sie jetzt ihre Sicht geschildert hätte. Aber es sei das gute Recht der Angeklagten, zu den Vorwürfen zu schweigen, sagte die Staatsanwältin.