Nachruf

Bescheiden, aufrichtig, leidenschaftlich

Abschied nehmen: Eine Trauerrede auf Georg »Jurek« Heuberger sel. A.

von Salomon Korn  12.11.2010 14:08 Uhr

Georg »Jurek« Heuberger sel. A. 2009 in Kiew vor dem Denkmal für die ermordeten Juden von Babi Jar Foto: Marco Limberg

Abschied nehmen: Eine Trauerrede auf Georg »Jurek« Heuberger sel. A.

von Salomon Korn  12.11.2010 14:08 Uhr

Für Jurek Heuberger war der 6. August 2008 ein besonderer Tag – ein Tag, an dem sich für ihn als Repräsentant der Claims Conference in Deutschland ein Kreis schloss. An diesem Tag verkündete er in Budapest der Öffentlichkeit, dass Deutschland, mehr als 60 Jahre nach dem Krieg, die Juden von Budapest entschädigen wird. Nach nicht immer einfachen Verhandlungen mit dem deutschen Bundesfinanzministerium hatte er mit diesem ein Abkommen getroffen, wonach die noch lebenden 8.000 jüdischen Holocaust-Überlebenden in Ungarn, die noch keine Entschädigung bekommen hatten, eine Einmalzahlung von 1.900 Euro erhalten sollten.

Dieser Erfolg erfüllte Jurek mit besonderer Genugtuung. Denn er selbst war 1946 in Budapest als Kind von Dolek und Franziska Heuberger zur Welt gekommen. Diese waren 1943 aus Polen geflüchtet, wo die Judenvernichtung zu dieser Zeit auf Hochtouren lief. Der Leidensweg der Heubergers hatte im Krakauer Ghetto begonnen und führte über das KZ Plaszow nach Bochnia, einem Sammellager 40 Kilometer östlich von Krakau. Von hier aus hätte ihr Weg zur Zwangsarbeit nach Deutschland oder in ein Vernichtungslager geführt.

überlebt Doch von dort konnten Franziska und Dolek Heuberger entkommen und über die Slowakei nach Ungarn gelangen, das damals noch nicht von den Deutschen besetzt war. Im März 1944 marschierten deutsche Truppen in Ungarn ein. Mit ihnen kam Adolf Eichmann, um die Deportation der 725.000 ungarischen Juden nach Auschwitz in die Wege zu leiten. Dolek und Franziska Heuberger überlebten in einer Kellerwohnung, von wo aus sie zwischen Dezember 1944 und Januar 1945 die Massaker an etwa 20.000 Juden an den Ufern der Donau beobachten konnten.
Nach der Geburt ihres Sohnes Jurek am 26. Januar 1946 blieben Dolek und Franziska noch drei Monate in Budapest. Über Prag und Paris kamen sie 1948 nach Frankfurt. Damit gehörten sie zu den ersten Familien der kurz zuvor neu gegründeten Jüdischen Gemeinde Frankfurt.

Hier wuchs Jurek auf, besuchte die Schule und legte am Goethe-Gymnasium sein Abitur ab, auf das ihm später sein Bruder und seine Söhne folgen sollten. Anschließend studierte er Jura in Frankfurt, Tübingen und München. Er gehörte zu den Gründern des Bundes jüdischer Studenten in Deutschland, dessen Erster Vorsitzender er wurde. Gleichzeitig zeigte er politisches Interesse an der Frankfurter Studentenbewegung.

Dieses aktiv gelebte Interesse verlagerte sich in den darauffolgenden Jahren auch auf den Zionismus, woraus zunehmend eine Liebe zu Israel wuchs. Von wachsendem Idealismus geleitet, entschied er sich während des Sechstagekrieges im Jahre 1967, als Freiwilliger im Kibbuz Hasorea in Israel zu arbeiten. Anschließend kehrte er nach Frankfurt zurück, um hier sein Staatsexamen in Jura abzulegen.
Nach dem Examen im Jahre 1970 wechselte er an die Hebräische Universität Jerusalem. Dort studierte er Politische Wissenschaften, Soziologie und Jüdische Geschichte. Anschließend nahm er eine Lehrtätigkeit an der Fakultät für Politische Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem auf und wurde dort wissenschaftlicher Mitarbeiter. In diesen Jahren lernte er Rachel in Frankfurt kennen. 1973 heirateten sie in Israel, wo sie eine Familie gründeten.

1979/80 nahm Jurek ein »Sabbatical« und ging als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Institute of International Studies an die University of California in Berkeley. 1982 kehrte er mit seiner Familie nach Frankfurt zurück. Von 1982 bis 1985 war er Rektorassistent an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Damals ahnte er nicht, dass er nur wenige Jahre später, 1985, vor der Aufgabe seines Lebens stehen würde: der Gründung des ersten Jüdischen Museums in Deutschland nach 1945.

überreste In den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende schien die Gründung von jüdischen Museen in Deutschland für immer eine Utopie zu bleiben. Damals war es undenkbar, dass nach dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen, das neben Krieg, Massenmord und Vertreibungen sechs Millionen ermordete Juden hinterlassen hatte, je wieder funktionierende jüdische Institutionen in Deutschland entstehen würden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die wenigen Überreste des 1922 eröffneten und während der »Reichskristallnacht« geplünderten »Museums Jüdischer Altertümer« zum größten Teil an jüdische Museen in Israel und den USA gingen. Nur wenige Überreste des reichen kulturellen Lebens der Vorkriegsgemeinde blieben in Frankfurt am Main.

Als die Stadt Frankfurt am 28. Februar 1980 unter dem damaligen Oberbürgermeister Walter Wallmann die Gründung des Jüdischen Museums beschloss, wurden damit auch die Weichen für Jureks weiteren beruflichen Lebensweg gestellt.
Heute vor zwölf Jahren, am 9. November 1988, trat er seine Funktion als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums an. Von seinem Studium und seinem beruflichen Werdegang her war die Besetzung dieses Postens mit einem Mann aus den Bereichen der Politischen Wissenschaften, der Soziologie sowie der Jüdischen Geschichte eine nicht alltägliche Entscheidung gewesen. Es war vor allem Ignatz Bubis sel. A., der sich für Jurek als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Frankfurt nachdrücklich und überzeugend eingesetzt hatte. Schließlich wurde Jurek vor allen anderen Kandidaten der Vorzug gegeben.
Seine Wahl erwies sich als Glücksfall, denn seinem Verständnis von Funktion und Aufbau eines neuen jüdischen Museums in Deutschland kam entgegen, dass das Frankfurter Jüdische Museum von Anfang an nicht als isolierte Institution geplant war. Es sollte vielmehr in einen weitreichenden kulturellen Kontext integriert werden, der über den Bereich jüdischer Geschichte und Kultur hinausragen würde. Dies drückte sich vor allem in einer fruchtbaren Kooperation aus, die Jurek mit anderen Museen am Frankfurter Museumsufer einging.

standardwerk So erarbeiteten er und seine Mitarbeiter mit dem Museum für Post und Kommunikation die Ausstellung »Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten«. Auch die gelungene Zusammenarbeit mit dem Deutschen Architekturmuseum ist hier zu nennen, insbesondere die gemeinsam erarbeitete und präsentierte Ausstellung »Die Architektur der Synagoge«, deren Katalog ein Standardwerk zur Synagogenarchitektur in Deutschland und Europa geworden ist. Und schließlich sei noch seine Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum, dem Institut für Stadtgeschichte und dem Dommuseum erwähnt. Mit ihnen erarbeitete das Jüdische Museum unter Jurek Heuberger die Ausstellung »Die Kaisermacher: Frankfurt am Main und die Goldene Bulle 1356–1806«. Hierzu steuerte das Jüdische Museum den Ausstellungsteil »Kammerknechte: Der Kaiser und die Frankfurter Juden« bei.

Gleichsam als Modell einer fruchtbaren Zusammenarbeit zeigten diese Ausstellungen, welche Möglichkeiten solche Kooperationen für die kulturelle Identität dieser Stadt bieten. Jurek Heuberger war, das zeigte sich mit jeder neuen Ausstellung, ein Glücksgriff für das Jüdische Museum, ja, für die Stadt Frankfurt gewesen. Gerade weil er eine breit angelegte, international gefärbte Ausbildung mitbrachte, die nicht auf den musealen Bereich beschränkt war, bereicherten er und seine Mitarbeiter die Kulturszene Frankfurts, aber auch weit darüber hinaus, mit Ausstellungen überraschender Bandbreite und unerwarteter Aspekte.

Der Ruf des Museums, dessen Reputation und Reichweite lagen ihm stets am Herzen. Besonders deutlich zeigte sich dies 1994 mit der Rothschild-Ausstellung. Zu deren Eröffnung, der der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt beiwohnte, kamen 80 Mitglieder der Familie Rothschild aus dem europäischen Ausland und den USA. Hier verbanden sich große Frankfurter jüdische Vergangenheit mit jüdischer Kultur und Tradition auf einzigartige Weise. Und gleichzeitig wurde der kulturelle Verlust spürbar, den das nationalsozialistische Menschheitsverbrechen in Frankfurt und Deutschland hinterlassen hatte.

Jurek Heubergers Interessen und Tätigkeiten reichten weit über den Bereich des Jüdischen Museums Frankfurt am Main hinaus. So war er Vorsitzender der Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts. 2006 wurde er zum Repräsentanten der Jewish Claims Conference für Deutschland berufen. Nachdem er im selben Jahr seine Tätigkeit als Direktor des Jüdischen Museums beendete und in den vorzeitigen Ruhestand trat, hatte er ausreichend Zeit, sich insbesondere dieser Aufgabe zu widmen. Damit war es ihm möglich, sich für die materielle »Wiedergutmachung« der Holocaust-Überlebenden, deren Pflege und Unterstützung, insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, einzusetzen. In den letzten Jahren wurde er immer mehr zum Experten für geraubte Kunst aus vormals jüdischem Eigentum. Auf eigentümliche Weise war er damit partiell in den Bereich seiner früheren Tätigkeit als Museumsdirektor zurückgekehrt.
Alles, was Jurek tat, geschah leise und unauffällig – aber stets effektiv. Sein professioneller Ehrgeiz galt immer der Sache, hinter die er seine Person zurückstellte. In seinem Auftreten bleibt mir vor allem seine Bescheidenheit, Aufrichtigkeit und Leidenschaft für die jeweils zu bewältigende Aufgabe in Erinnerung. Eitelkeit schien er nicht zu kennen, und nie hinterließ er den Eindruck, auf persönliche Anerkennung aus zu sein.

Fürsorge Von seiner Familie weiß ich, dass er seine schwere Krankheit mit Tapferkeit und ohne Hader ertrug, ja, sie, sich der Unausweichlichkeit fügend, in seiner ruhigen und besonnenen Art schließlich annahm. Für ihn und seine Familie war es ein Glück, dass er zu Hause bis zu seinem Ende im Kreis seiner Frau und seiner Söhne verbleiben konnte, um am Ende friedlich von ihnen zu gehen. In ihrer Erinnerung wird er als liebevoller Ehemann und Vater, in der Erinnerung seiner Mutter als fürsorglicher Sohn, in unser aller Erinnerung als Freund und Wegbegleiter weiterleben.

Unsere Gedanken sind bei dir, Rachel, die du deinen geliebten Mann und Lebensgefährten verloren hast, bei euch, Mikusch und Jonathan, die ihr viel zu früh von eurem euch liebenden Vater Abschied nehmen müsst und bei Ihnen, Nusia, die Sie mit dem grausamen Schicksal leben müssen, dass der geliebte Sohn vor seiner Mutter gestorben ist.

Und nun, Jurek, heißt es endgültig Abschied nehmen – viel zu früh und unvollendet. Den Rest unseres Lebensweges werden wir ohne dich gehen müssen – ohne den wertvollen Menschen, der du warst. Wir danken dir, der du unser Leben und unsere Gemeinschaft bereichert und beschenkt hast. Ruhe in Frieden.

Yehi Sich’ro Baruch – sein Andenken sei gesegnet.

Der Autor ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Mitglied im Board of Directors der Claims Conference.

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