Wenn Konzerte von Hassbarden erst einmal angekündigt sind und deren Gesichter von Plakatsäulen aus auf Passanten herunterblicken, ist es nicht leicht, sie zu verhindern. Dies gilt ganz besonders im Fall von Roger Waters, dem vorgeworfen wird, sowohl während seiner Auftritte als auch dazwischen Judenhass zu verbreiten.
»Waters äußert sich bekanntlich seit geraumer Zeit in massiver Weise israelfeindlich und antisemitisch«, sagt Samuel Salzborn, der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen. »Er ist eine der lautesten Stimmen im Musikgeschäft, die anti-israelischen Antisemitismus verbreiten. Ich habe bereits vor einigen Wochen gesagt, dass, wer es mit dem Kampf gegen Antisemitismus ernst meint, Roger Waters keine Bühne geben sollte.«
Ignoranz »Die traurige Realität in Deutschland – das hat die documenta dramatisch deutlich gemacht – ist aber, dass es an ernsthaftem Problembewusstsein für Antisemitismus im Kunst- und Kulturbetrieb viel zu oft mangelt. Auch wenn antisemitische Künstler eine kleine Minderheit sind, ist die Ignoranz mit Blick auf Antisemitismus leider oft groß«, so Salzborn.
Nicht zum ersten Mal steht eine Tournee des Mitbegründers von Pink Floyd an. Der 79-Jährige wird sich im Frühjahr auf große Bühnen in 14 Staaten stellen. Aufgrund der starken Nachfrage tritt er in diversen Städten mehrmals auf. Dies gilt auch für Berlin, wo Waters es schaffen könnte, die Mercedes Benz Arena, die mit Platz für 17.000 Fans immerhin die zweitgrößte Mehrzweckhalle in Deutschland ist, zweimal zu füllen.
Die Musik als solche ist nicht das Problem. Es sind der Hass und seine Aktivitäten für die antisemitische BDS-Bewegung, die Roger Waters regelmäßig scharfe Kritik einbringen. Hinzu kommen seine problematischen Aussagen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Der amerikanische Präsident Joe Biden schüre dort das Feuer, sagte der Rocker in einem Interview mit einem amerikanischen Medium. Dies stelle ein »großes Verbrechen« dar. Biden habe die Macht, den Krieg sofort zu beenden.
Geistesblitz Dass die russische Führung begeistert war, ist keine Überraschung. Judenhasser in aller Welt hörten sicherlich ebenfalls gern zu, als Waters unlängst in einem Gespräch mit dem Middle East Media Research Institute sagte, der Zionismus sei »ein hässlicher Fleck, der von uns behutsam entfernt werden sollte«, oder als er mit einem weiteren Geistesblitz aufwartete: Israel sei indirekt für den Tod von George Floyd verantwortlich, da die Streitkräfte des Landes die Technik erfunden hätten, auf den Hälsen von Individuen zu knien. All dies ist nur die Spitze des Eisbergs.
In Frankfurt am Main hat die Jüdische Gemeinde dafür gesorgt, dass das Thema Roger Waters angegangen wird, indem sie Druck machte. Stadtrat Mike Josef (SPD) kündigte nun an, der Frankfurter Magistrat werde nächste Woche einen Antrag auf eine Streichung des am 28. Mai in der Festhalle vorgesehenen Konzertes beschließen. Später werde der Vorstoß dem Aufsichtsrat der Messe vorgelegt, die für die Halle verantwortlich ist. Josef ist selbst Mitglied des Gremiums.
»Mir kommt es darauf an, dass wir aufhören zu reden, und stattdessen endlich handeln«, sagte Mike Josef der Jüdischen Allgemeinen. »Wir müssen in dieser Frage Haltung zeigen.« Das Ergebnis der gezeigten Haltung: Zumindest besteht jetzt eine gute Chance dafür, dass der Hassbarde nicht in Frankfurt auftreten wird.
Taten Benjamin Graumann sorgte als Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt mit dafür, dass etwas passierte: »Wir haben mit Entscheidungsträgern gesprochen. Noch ist der Antrag nicht beschlossen. Wir hoffen, dass diesen Worten auch Taten folgen werden«, sagte er dieser Zeitung. Einfluss nehmen könnten die Gesellschafter im Aufsichtsrat der Messe, die zu 60 Prozent der Stadt Frankfurt gehört, und zu 40 Prozent dem Land Hessen.
»Die Messe hatte uns empathielos und kalt geantwortet und gesagt, dass sie keine Veranlassung sehen würde, das Konzert abzusagen«, so Graumann. »Es freut uns aber, dass nun endlich Bewegung in die Sache gekommen ist, wobei wir uns gewünscht hätten, dass es nicht auf unsere Initiative hin passiert wäre, sondern dass der Magistrat und die Entscheidungsträger von sich aus aktiv geworden wären.«
Mit allen wichtigen Parteien sei gesprochen worden, inklusive der sich im Wahlkampf befindlichen Spitzenkandidaten von Grünen, SPD und CDU. Alle hätten sich eindeutig positioniert. »Auch beim Land Hessen haben wir das Problem angesprochen, aber leider gar nichts gehört«, erklärte Benjamin Graumann.
Inzwischen ist er jedoch eher optimistisch: »Durch die documenta sind wir gebrandmarkt und eher zurückhaltend. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie man das Roger-Waters-Konzert jetzt noch stattfinden lassen will, wenn sich alle Parteien dagegen ausgesprochen haben.«
Jewrovision »Es wäre ein fatales Zeichen, wenn er auftreten würde, auch wegen der Festhalle«, sagte der Gemeindevorstand. »Es gibt hier die Besonderheit, dass zehn Tage zuvor die Jewrovision genau dort stattfindet, und es wäre kaum auszuhalten, wenn einer der größten Antisemiten dort auftritt, wo zuvor jüdisches Leben gefeiert wurde. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Festhalle war in der Pogromnacht am 9. November 1938 ein ›Sammelpunkt’ für Juden, die dort gedemütigt und geschlagen und dann deportiert wurden.«
Für die Messe Frankfurt erklärte deren Pressesprecher Markus Quint, für eine Auflösung des Vertrags mit dem Konzertveranstalter wären Beschlüsse beider Gesellschafter, der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen, erforderlich. »Sie beschließen, was hinsichtlich einer Vertragsauflösung zu tun sein wird. Die Gesellschafter können uns anweisen, entsprechend vorzugehen und wir werden dem dann Folge leisten.«
Für den Fall, dass das Frankfurter Roger-Waters-Konzert tatsächlich abgesagt wird, könnte es teuer werden. Damit rechnet auch Nils Kößler, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Frankfurter Römer: »Von einer Schadensersatzpflicht der Messe im Fall der Absage ist derzeit leider auszugehen. Das muss aus Sicht der CDU aber in Kauf genommen werden, weil Antisemitismus in Frankfurt keinen Platz haben darf.«
»Wir appellieren an die Öffentlichkeit, Veranstalter von Events mit Antisemiten zu boykottieren.«
Jochen Feilcke (DIG Berlin)
Erledigt Kößler geht davon aus, dass der Fall Waters für Frankfurt ein für alle Mal erledigt ist: »Auf Flächen und in Gebäuden der Stadt Frankfurt wird es keine Konzerte mit Roger Waters mehr geben. Die CDU erwartet, dass in Zukunft bei Verträgen zu Veranstaltungen eine Ausstiegsklausel enthalten ist, die bei Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung eine kostenfreie Stornierung durch die Vermieterin erlaubt.«
In Frankfurt ist ein erheblicher Teil des politischen Spektrums, von Mitte-rechts bis links, für eine Absage des Konzertes. Auch Jutta Ditfurth von ÖkoLinX hält Roger Waters für hochgefährlich: »Er ist ein enthemmter Israelhasser und lässt mit missionarischem Eifer aufgeblasene Schweine mit Davidstern von der Bühne fliegen, die berüchtigte ›Judensau‹. Er hetzt seit Jahren gegen Israel. Dafür wird er vom BDS verehrt. Der BDS ist der außenpolitische Arm der Hamas.«
Die Gruppierung wolle keine Menschenrechte für Palästinenserinnen und Palästinenser. Vielmehr werde sie instrumentalisiert, »für die Beseitigung des einzigen jüdischen Staates auf der Welt. Roger Waters ist der Musiker dieser Vernichtungsabsicht«, erklärte Jutta Ditfurth. »Seit acht Jahren kämpfen wir, ÖkoLinX, außerparlamentarisch gegen den BDS, in Bündnissen, mit Kundgebungen und Aufklärungsveranstaltungen. Im Römer hat das bisher fast niemanden interessiert«, fügte sie hinzu.
Fragen Der Veranstalter der Roger Waters-Konzerte, die FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH in Hamburg, sah bislang davon ab, übermittelte Fragen der Jüdischen Allgemeinen zu beantworten, ebenso wie die AEG Europe, die die Mercedes Benz Arena betreibt, erklärte Ant Ryan, das Unternehmen verurteile jede Form von Antisemitismus.
»Grundsätzlich war die Arena immer bestrebt, Künstlern eine offene Plattform und Umgebung zu bieten, um ihre Ansichten unzensiert und unvoreingenommen zu äußern. Diese Ansichten sind ausschließlich ihre eigenen und nicht repräsentativ für die Arena«, so Ryan. »Im speziellen Fall von Mr. Waters sind wir uns seiner öffentlichen Äußerungen und der sie umgebenden Kontroverse bewusst. Aber in Übereinstimmung mit unseren Richtlinien planen wir, unsere vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Veranstalter, der unsere Arena gebucht hat, zu erfüllen.«
Samuel Salzborn verwies darauf, dass sich Scorpio bereits von den Aussagen von Roger Waters distanziert und darauf berufen habe, dass vor Vertragsunterzeichnung keine Kenntnis über die Positionierungen von Waters vorgelegen hätten. »Was daraus folgt, ist nach meinem Kenntnisstand gegenwärtig noch offen. Ich hoffe sehr, dass der Veranstalter auf Basis der von ihm neu gewonnenen Erkenntnisse zu einer Neubewertung gelangt.«
»Wir brauchen dringend eine Trendwende im Kunst- und Kulturmilieu, ein deutliches ›Nein‹ zu jeder Form von Antisemitismus. Der Tourveranstalter hat hier insofern auch die Chance, Impulsgeber für eine klare Haltung gegen Antisemitismus im Kulturmilieu zu werden«, so Salzborn.
Straftat Jochen Feilcke, der Vorsitzende der DIG Berlin und Brandenburg, forderte derweil die Berliner und Brandenburger auf, den beiden Konzerten in der Hauptstadt fernzubleiben. »Antisemitismus ist dann eine Straftat, wenn er geäußert wird.« Er sei weder eine Meinungsäußerung, noch werde er durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, so Feilcke auf Anfrage.
»Deshalb sollten Antisemiten nur unter Auflagen auftreten dürfen. Soweit ich weiß, ist der Unterschied zu Frankfurt, dass in Berlin private Veranstalter in privaten Hallen auftreten. Deshalb appellieren wir an die Öffentlichkeit, Veranstalter von Events mit Antisemiten zu boykottieren.«
Wie Feilcke richtigerweise erwähnte, ist die Tatsache, dass sich die Mercedes Benz Arena nicht in staatlicher Hand befindet, der große Unterschied. Im Gegensatz zum Frankfurter Magistrat kann der Berliner Senat nach der gültigen Rechtsprechung nichts unternehmen.
Regelung Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) erklärte, über eine Absage habe seine Senatsverwaltung nicht zu befinden, »da das Konzert privatrechtlich organisiert in einer nicht-städtischen Einrichtung stattfindet. Bei Kultureinrichtungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, gibt es eine ganz klare Regelung. Der Kampf gegen Antisemitismus muss aber nicht nur in und von den Institutionen gefochten werden. Es braucht auch eine starke Zivilgesellschaft, die ein deutliches Zeichen nicht nur gegen die hetzerischen Aussagen eines Roger Waters setzt, sondern sich entschieden gegen jeden Antisemitismus stellt.«
»Meine Haltung zu BDS und dessen exponierten Vertretern, vorneweg Roger Waters, ist klar: Unter dem sehr dünnen Deckmantel der vermeintlichen Kritik an der Politik des Staates Israel werden durch den BDS massiv antisemitische Denk- und Deutungsmuster bedient«, sagte Lederer der Jüdischen Allgemeinen.
»BDS operiert mit Boykottaufrufen und immenser Beeinflussung von Künstlerinnen und Künstlern, verbreitet Unwahrheiten und schlicht Hass. Wer dies tut, muss sich Antisemit nennen lassen, ohne Wenn und Aber – und ebenso unmissverständlich mit unserem Widerstand rechnen«, so der Senator.