7. Oktober

Berlin an der Seite Israels

Am interreligioesen Gottesdienst nahmen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Alon Gat, Elke Büdenbender, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90 /Die Grünen) und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, teil. Foto: picture alliance / epd-bild

Der Jahrestag des Terrorangriffs auf Israel begann am Montagmorgen in Berlin mit einer Lesung der Namen der rund 1200 Opfer des 7. Oktober am Brandenburger Tor. Viele dieser Namen wurden dann am Abend in weißen Buchstaben auf die Fassade des Jüdischen Gemeindehauses in der Fasanenstraße projiziert, wo der Abschluss einer zentralen Gedenkveranstaltung stattfand.

Mit einem interreligiösen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und einem stillen Gedenkweg wurde dabei an die Opfer des Massakers der Hamas erinnert. Eingeladen hatten die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde, dem Erzbistum Berlin sowie dem Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin.

Die Initiative kam von Bischof Christian Stäblein. Den Gottesdienst gestaltete er unter anderem mit Rabbiner Andreas Nachama, Erzbischof Heiner Koch und Imam Kadir Sanci.

»Verantwortet von der Hamas«

Bischof Stäblein versicherte, dass man an der Seite Israels stehe. Es werde von ihm keine Ansprache geben, »in der alles wohlfeil in gleiche Abstände rückt und sich ein giftiges ›Ja aber‹ einschleicht«. Stäblein sprach vom Leid in Israel, aber auch von dem in Gaza und im Libanon. Der Bischof machte zugleich deutlich: »All das Leid wird verantwortet von der Hamas und der Hisbollah«.

Für ihn stehe vor allem das Denken an die Menschen im Vordergrund, die weiter als Geiseln verschleppt wurden und gefoltert werden, die irgendwo in den Tunneln in Gaza darauf hoffen, dass sie freikommen. Er forderte: »Lasst die Geiseln endlich frei, macht dem Terror ein Ende, jetzt sofort.«

Mit »Schalom uwracha«, Frieden und Segen, begrüßte Bischof Stäblein in der Gedächtniskirche unter anderem die Präsidentin des Bundestages, Bärbel Bas, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, Israels Botschafter Ron Prosor, den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Alon Gat, Elke Büdenbender, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90 /Die Grünen) und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, (v.l.n.r.) beim interreligiösen GottesdienstFoto: picture alliance / epd-bild
Sicherheit und Existenz

Der Bundespräsident betonte in seiner Ansprache nach dem Gottesdienst die Verantwortung, an der Seite Israels zu stehen, wenn die Heimstatt von Jüdinnen und Juden angegriffen werde und die Sicherheit und Existenz Israels bedroht seien.

Steinmeier sagte, dass er, wenn er sich an den 7. Oktober zurückerinnere, heute noch so entsetzt und fassungslos sei wie damals. Man werde nie vergessen, was an diesem Tag geschehen sei: »Wir vergessen die Menschen nicht, die an diesem Tag ihr Leben verloren haben. Wir denken an die, die gelitten haben und bis heute leiden.«

Zugleich sei zu spüren, dass im Krieg in Nahost die Prinzipien, die Deutschland leiten, auf eine schmerzhafte, auch widersprüchliche Realität stießen. Je länger der Krieg dauere, je mehr Opfer er fordere, umso mehr, so Steinmeier. Die Fragen würden lauter, drängender, auch die öffentliche Debatte darüber, »wo die Grenzen jedes Rechts auf Selbstverteidigung liegen«, erklärte der Bundespräsident.

Bedrohung von Juden

»Trauer, Wut, Ohnmacht, Angst um Angehörige und Freunde auf beiden Seiten, solche Gefühle treiben auch in unserem Land viele Menschen um«, fügte er hinzu. Doch darüber dürfe nicht der Kompass verloren gehen. Steinmeier verurteilte die Bedrohung von Juden in Deutschland. Auch die Forderung auf Demonstrationen nach einem Nahen Osten ohne Israel sei Antisemitismus und niemals zu dulden.

Im Anschluss begab sich der Bundespräsident mit den mehreren hundert Teilnehmern auf den Gedenkweg vom Breitscheidplatz zur Fasanenstraße. Alle versammelten sich hinter dem lilafarbenen Spruchband mit dem Schriftzug »Zusammen gegen Antisemitismus. Für ein weltoffenes und tolerantes Berlin«. Einige hundert Meter ging es über den Kurfürstendamm, der dafür großräumig abgesperrt und mit einem großen Polizeiaufgebot geschützt war.

Vor dem Jüdischen Gemeindehaus begrüßte dann der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe die Gäste, darunter auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Joffe betonte die Solidarität der Vielzahl von Verantwortungsträgern: »Ich danke Ihnen ausdrücklich, dass Sie heute mit uns gedenken.«

Zentralratspräsident Josef Schuster nahm am Montag an zwei Gedenkveranstaltungen und einem Panel-Gespräch über den 7. Oktober und dessen Implikation teil.Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress
»Echte Freunde«

Botschafter Ron Prosor sagte, Solidarität mit Israel sei in diesen Tagen wichtiger denn je. So dankte er denjenigen, »die echte Freunde sind, die an der Seite Israels stehen«. Aber er fand auch kritische Töne, da man anstelle von Solidarität mit den Ermordeten und Massendemonstrationen gegen die Terrororganisation Hamas überwiegend eine beharrlich schweigende Mehrheit erlebe.

Und bei denen, die nicht schweigen, sei oft jeder moralische Kompass verloren gegangen. »Wir sehen hier nicht nur Antisemitismus der Muslime, sondern auch jenen aus der Mitte der Gesellschaft, rechten und linken Antisemitismus.« Die deutsche Gesetzgebung müsse dringend bei der Definition der roten Linie zwischen Meinungsfreiheit und Aufhetzung nachsteuern, meinte Prosor.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, machte in seiner Rede deutlich, dass es ihm nicht nicht leichtfalle, diesen Jahrestag zu begehen. Dieser führe vor Augen, »dass Trauer ein täglicher Kampf mit einer neuen Realität ist, die wir uns nicht ausgesucht haben. Einer Realität, in der die geballte Kraft des Verlustes eines Menschenlebens spürbar ist«. Die jüdische Gemeinschaft könne die Trauerzeit nicht abschließen, solange noch Geiseln in den Händen der Hamas festgehalten würden.

»Schrecklicher Takt«

Für viele Jüdinnen und Juden sei vor einem Jahr die Zeit an diesem dunklen Tag stehen geblieben, sagte der Zentralratspräsident. »Doch die Uhren laufen weiter. Für die Geiseln und die Menschen in Gaza tun sie es in einem schrecklichen Takt.« Die Befreiung der Geiseln zu fordern, sei kein politisches Anliegen, so Schuster: »Für die Befreiung der Geiseln zu kämpfen, ist ein menschliches Anliegen.«

Bevor zum Abschluss die Hatikwa, die israelische Nationalhymne, erklang, wandte sich noch Alon Gat an die Anwesenden. Er ist Überlebender des 7. Oktober. Er war an jenem Tag zu einem Familienbesuch in Beeri, als die Terroristen der Hamas auch diesen Kibbuz überfielen.

Dabei wurde seine Mutter aus ihrem Haus verschleppt und ermordet, er und seine kleine Tochter Geffen konnten in letzter Minute entkommen. Seine Frau Yarden wurde nach 54 Tagen aus der Geiselhaft befreit und seine Schwester Carmel nach elf Monaten in den Tunneln der Hamas brutal ermordet.

Menschlichkeit und Mitgefühl

Alon Gat stockte die Stimme, als er sagte: »Ich bin voller Schmerz und fühle mich verloren.« Doch er habe auch viel Hoffnung. Er wisse, dass es möglich sei, dass die verbliebenen Geiseln so schnell wie möglich nach Israel zurückkehren könnten.

»Das Böse, das mich zu dieser Traurigkeit, zu diesem Schmerz gebracht hat, ist das Böse, dem wir uns entgegenstellen müssen. Und wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren«, erklärte Alon Gat. »Und ich habe auch viel Hoffnung, weil ich euch alle hier mit mir, mit uns, mit Israel, mit dem jüdischen Volk stehen sehe.«

Etwa zur gleichen Zeit wurde am Montagabend das Brandenburger Tor in den weiß-blauen Farben der israelischen Flagge angestrahlt. Zudem war auf dem Berliner Wahrzeichen der Schriftzug »Bring them home now« (»Bringt sie jetzt nach Hause«) zu lesen. »Berlin sendet ein Zeichen in die Welt, dass wir an der Seite Israels stehen, dass wir mit den Familien der Geiseln hoffen, dass Menschlichkeit und Mitgefühl immer stärker sein werden als der Hass«, so der Regierende Bürgermeister Kai Wegner.

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