Nicht trotz, sondern wegen seines historischen Schattens hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Idee entwickelt, Berlin könne die Olympischen Sommerspiele 2036 ausrichten. 100 Jahre zuvor hat Hitler die Spiele für seine Propaganda missbraucht. Jetzt wird wieder über eine Bewerbung Berlins als Austragungsort diskutiert. Faeser sieht darin eine Möglichkeit, die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Die Olympischen Sommerspiele in München 1972 sollten bereits ein »Fest des Friedens« sein. Deutschland wollte die Spiele nutzen, um sich der Welt als demokratisches und modernes Land vorzustellen. Ein friedliches Fest wurde es jedoch nicht. Terroristen des palästinensischen »Schwarzer September« nahmen elf israelische Athleten zunächst als Geiseln und ermordeten sie dann.
Gut 50 Jahre war Deutschland seitdem nicht mehr Austragungsort. Seit der Wiedervereinigung gab es sieben Anläufe, und sieben Mal ist Deutschland gescheitert. Für die Spiele 2012 wollte sich Leipzig als Stadt der friedlichen Revolution von 1989 darstellen – erfolglos. Zuletzt scheiterte München 2022 für die Bewerbung um die Winterspiele und Hamburg 2024 für die Sommerspiele jeweils bereits in der Vorbereitung an den Bürgerentscheiden.
Weltoffenheit Auch der Koalitionsvertrag der Berliner SPD und CDU hält eine erneute Bewerbung für möglich. »100 Jahre nach den Nazi-Spielen, die Hass und Ausgrenzung salonfähig machen wollten«, könnte Berlin nun zeigen, »dass ein weltoffenes, liberales und demokratisches Berlin stärker« sei, als »Hass und Menschenverachtung es jemals sein können«, teilte auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, der Jüdischen Allgemeinen mit. Eine Bewerbung könne er sich im Rahmen einer »nationalen Bewerbung« vorstellen.
Elio Adler, Vorsitzender des jüdischen Vereins »WerteInitiative«, steht einer deutschen Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036 positiv gegenüber. »Wo vor knapp 100 Jahren Propaganda mörderischen Menschenhass vertuschen sollte«, könne nun das Gegenteil passieren und »wirkliche Diversität und Pluralismus zelebriert werden«. Berlin solle die Chance nutzen, 100 Jahre später »zum Gastgeber des Festes der Vielfalt und des sportlichen Wettbewerbs« zu werden, sagte Adler im Gespräch mit dieser Zeitung. Es solle ein Anliegen des Komitees der Olympischen Spiele und des Gastgeberlandes sein, »dass der sportliche Wettbewerb nie wieder für menschenverachtende Politik« genutzt werde.
Auch eine Kooperation zwischen Berlin und
Tel Aviv ist im Gespräch.
Das Israelische Olympische Komitee hatte bereits 2021 eine Bewerbung Berlins begrüßt. »Die Olympischen Spiele in Berlin abzuhalten, 100 Jahre nach Hitlers Olympischen Spielen 1936, wird uns alle an die dunklen Zeiten erinnern, die wir erfahren haben, und der Welt eine starke Botschaft senden von den Werten, die wir aufrechterhalten müssen«, hatte das Komitee damals mitgeteilt.
Austragung Die Überlegungen einer möglichen Austragung auf deutschem Boden sind vielfältig. Neben einer Kooperation von Berlin und Tel Aviv ist auch eine Kooperation mehrerer deutscher Städte im Gespräch; darunter neben Berlin etwa auch München. Auf Begeisterung stoßen diese Überlegungen jedoch nicht überall.
Der Journalist Christof Paulus schrieb auf t-online.de, dass Olympia als großes Fest gedacht sei – das »Dritte Reich« biete allerdings keinen Anlass zu einer Jubiläumsfeier. Gerade München, Hitlers »Hauptstadt der Bewegung«, solle sich seiner Meinung nach nicht daran beteiligen. 100 Jahre nach den Nazis solle Deutschland nichts demonstrieren, sondern zuhören und den Umgang mit dem Andenken während der Spiele zuerst anderen überlassen. Nichts solle den Anschein erwecken, dass das Andenken verklärt werde, so Paulus. Einzig befürworten könne er die Idee einer gemeinsamen Bewerbung Deutschlands und Israels.
Michael Koblenz, Sportvorstand vom jüdischen Sportverein TuS Makkabi Berlin, befürwortet grundsätzlich eine Bewerbung Deutschlands um die Olympischen Spiele 2036. »Symbolpolitik ist dann negativ, wenn es lediglich bei Symbolen bleibt. Dieses Land jedoch tat und tut weiterhin viel für die Aufarbeitung der Schoa«, sagte er dieser Zeitung. Der Fokus müsse zukunftsgerichtet auf dem »Ist-Zustand der gesellschaftlichen Integration in Deutschland« liegen, so Koblenz. So stehe etwa die 1. Herren-Fußballmannschaft von Makkabi Berlin dieses Jahr im DFB-Pokal mit Spielern von vier Kontinenten, aus 15 Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Religionen. Als Berliner Sportverein sehe Makkabi jedoch vor allem, »wie nachhaltig die Sportinfrastruktur der Stadt von der Ausrichtung der Spiele profitieren würde«.
Position Der Zentralrat der Juden in Deutschland wollte sich in der Debatte um eventuelle Olympische Spiele in Berlin noch nicht positionieren. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen teilte er mit, er werde »sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einer möglichen Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2036 äußern«.
Die Entscheidung über eine mögliche deutsche Bewerbung liegt beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Ende 2023 soll in einer Mitgliederversammlung entschieden werden, ob und für welches Jahr und mit welchen Städten oder Regionen sich Deutschland unter welchen Bedingungen bewirbt. Möglich wären Bewerbungen für die Winterspiele 2034 oder 2038 und für die Sommerspiele 2036 oder 2040. Ende Juni startete der DOSB eine Dialog- und Informationsinitiative: »Deine Ideen, deine Spiele«.
Die Bevölkerung soll damit hinter eine Olympiabewerbung gebracht werden, die mit den Bürgern gemeinsam erarbeitet werde. Ob die sich für ein Berlin 2036 werden erwärmen können, ist jedoch alles andere als ausgemacht.