Interview

»Bei uns besteht kein Grund zur Angst«

Josef Schuster Foto: Christoph Boeckheler

Herr Schuster, viele Juden sind nach den Anschlägen von Paris stark verunsichert. Sie auch?
Ich bin nicht verunsichert, aber sicherlich stärker sensibilisiert. Wenn sich ein solcher islamistischer Anschlag ereignet, muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Entfernung nach Frankreich nicht sehr groß ist.

Wie sicher können wir uns in Europa noch fühlen?

Hier von Europa als einheitlicher Struktur zu sprechen, halte ich für schwierig. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Die Situation in Frankreich ist im Moment eine andere als in der Bundesrepublik. Französische Sicherheitsbehörden scheinen jetzt deutlich gewarnt zu sein und alles zu unternehmen, um die jüdischen Einrichtungen besser zu schützen. In der Bundesrepublik erfolgte nach den Anschlägen von Paris auch eine erneute Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen, die gegebenenfalls angepasst wurden. Aber ich sehe im Moment keine akute Gefahr für die jüdischen Einrichtungen in Deutschland.

Was sagen Sie Gemeindemitgliedern, die dennoch Angst haben, ein jüdisches Geschäft aufzusuchen oder ihre Kinder in jüdische Schulen zu schicken?

Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Und ich würde es auch als falsch empfinden, vor Terrorismus einzuknicken. Ich bin davon überzeugt, dass gerade jüdische Kindergärten und Schulen in Deutschland gut geschützt sind, sodass es kein Risiko ist, jüdische Kinder und Jugendliche in jüdische Einrichtungen zu schicken.

Reicht der Schutz wirklich aus?

Da vertraue ich auf die Sicherheitsbehörden, ihre Überlegungen und Maßnahmen. Aber man muss Innenminister de Maizière recht geben, wenn er sagt, dass es nirgendwo auf der Welt 100-prozentigen Schutz vor Terrorangriffen geben kann. Das gilt eben nicht nur für jüdische Einrichtungen.

Israels Präsident Reuven Rivlin hat gefordert, dass Europas Politik das Sicherheitsgefühl der Juden wiederherstellen muss. Wie kann das erreicht werden?
Es gibt zum einen die polizeilichen Schutzmaßnahmen, aber auf der anderen Seite auch präventive Schritte. Vielleicht hätte man in Frankreich etwas früher auf antisemitische Vorfälle in den vergangenen Jahren reagieren müssen. Möglicherweise hätte die Politik schon vor längerer Zeit einschreiten müssen, nicht nur in Form von Reden, sondern auch mit Taten, etwa über die Gesetzgebung.

Viele israelische Politiker raten jetzt zur Alija. Natan Sharansky sieht sogar keine Zukunft für das Judentum in Europa.
Ich kann Natan Sharansky vor dem Hintergrund seiner Funktion innerhalb der Jewish Agency verstehen, wenn er für die Alija wirbt. Doch aus den Vorkommnissen in Frankreich jetzt den Schluss zu ziehen, dass eine Existenzmöglichkeit für Juden in Frankreich und in ganz Europa aktuell und auf Dauer nicht gegeben sei, ist doch eine sehr gewagte These, die ich nicht teile.

Paris hat gezeigt, dass es Juden sind, die im Visier der islamistischen Terroristen stehen. Wird das in der Öffentlichkeit genügend registriert?
Gemessen an den Reaktionen auf die Anschläge von Paris hatte ich zunächst den Eindruck, dass es überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Nur beiläufig las ich vom Angriff auf einen Supermarkt. Dass es sich um ein koscheres Geschäft handelte, fand anfangs kaum Erwähnung. Was mir in der Darstellung in den Medien auch fehlte, war die Tatsache, dass im Gegensatz zu den Journalisten die Juden nicht angegriffen wurden, weil sie sich auf bestimmte Weise artikuliert hatten, sondern ausschließlich deshalb, weil sie Juden waren.

Was meinen Sie, wenn Sie Taten statt Worte fordern?

Ich denke, dass der demokratische Rechtsstaat seine Möglichkeiten nutzen muss, um sich als Demokratie zu schützen. Die Gesetze der Bundesrepublik geben einen weiten Spielraum auch in Bezug auf die Beobachtung und die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten von Menschen, die unter dringendem Verdacht stehen, potenzielle islamistische Gefährder zu sein. Bei Personen, von denen man weiß, dass sie in einem islamistischen Ausbildungslager waren und von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine große Gefahr ausgeht, sollten die gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Auch Religionsgemeinschaften müssen stärker gegen diesen Terrorismus vorgehen, haben Sie gesagt. Geht das in Richtung der Muslime?

Es richtet sich selbstverständlich auch an die Muslime, denn hier sehe ich Defizite, was die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen angeht. Da wünsche ich mir schon deutlich mehr Engagement von muslimischer Seite, vor allem in der Bekämpfung des Antisemitismus in ihren Reihen. Aber unabhängig von islamistischem Terror ist Antisemitismus ein Thema in der Gesellschaft. Auch die christlichen Kirchen müssen das auf dem Schirm haben, insbesondere mit Blick darauf, was von christlichem Antisemitismus in der Vergangenheit ausgegangen ist.

Distanzieren sich die muslimischen Verbände genug vom Islamismus?
Da wünsche ich mir seit Jahren eine deutlichere Positionierung.

Die Verbände hatten am Dienstag in Berlin zur gemeinsamen Mahnwache gegen religiösen Extremismus aufgerufen. Die Spitzen der Politik waren ebenso da wie der Zentralrat der Juden. Ein gutes Zeichen?
Der Zentralrat der Juden hat die Initiative begrüßt und ist der Einladung, daran teilzunehmen und dort zu reden, gefolgt. Ein politisches Zeichen zu setzen, war nach den Vorfällen von Paris notwendig und richtig.

Manche kritisieren, dass sich in der jetzigen Situation die politische Mitte auf Parolen beschränke, während Rechtsextreme immer mehr Einfluss gewinnen. Ist das auch Ihr Eindruck?
Ich glaube, das stimmt so nicht mehr. Wenn man die Berichterstattung verfolgt, ist erkennbar, dass sich die Mitte recht laut und deutlich zu Wort meldet. Es stimmt, dass die Zahl der Pegida-Demonstranten in Dresden gewachsen ist. Aber wenn man berücksichtigt, was dort und auch in anderen Städten bei Demonstrationen für Menschenrechte und gegen Pegida los war, erkennt man, dass sich die bürgerliche Mitte sehr deutlich auch auf den Straßen artikuliert, was ja eher ungewöhnlich ist.

In der vergangenen Woche hat ein »Gemeinsames Manifest gegen Terror« von Katholiken, Protestanten, Juden und Muslimen Schlagzeilen gemacht. Warum gehörte der Zentralrat der Juden nicht zu den Unterzeichnern?
Das Manifest, das eine große deutsche Tageszeitung veröffentlicht hat, wurde von den Religionsgemeinschaften weder initiiert noch verfasst. Insofern haben diese auch gemeinsam beschlossen, es nicht zu unterzeichnen.

Mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden sprach Detlef David Kauschke.

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