Die Tragödie in Pittsburgh diente als Bestärkung dessen, was viele von uns hinsichtlich der kommenden Wochen bereits mit Besorgnis erfüllte. In der gleichen Woche, in der in den USA die Midterm Elections stattfinden, gedenken wir des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht. Dies bietet Anlass, uns zu fragen, was wir aus der Vergangenheit lernen können.
Die Geschichte erinnert uns daran, wie ein Klima der Angst und des Hasses zu Gewalt führen kann. Der antisemitische Anschlag in Pittsburgh war das bisher schlimmste judenfeindliche Hassverbrechen in der amerikanischen Geschichte. Obwohl die USA sich immer damit rühmten, eines der am wenigsten antisemitischen Länder der westlichen Welt zu sein, wirft diese abscheuliche Tat Fragen über die Zukunft unseres »Way of Life« auf.
novemberpogrome In Interviews, die das Leo Baeck Institute mit Emigranten in New York durchführte, die sich noch selbst an die Novemberpogrome erinnern, erzählte Josef Eisinger, dass man »Menschen unter den richtigen Umständen an alles glauben lassen und sie misstrauisch machen kann, gegen Menschen, die anders sind, und dass politische Parteien dies ausnutzen können«.
Der in den USA emeritierte Physikprofessor Eisinger, der Österreich 1939 im Alter von 16 Jahren verließ, erklärte, dass seine Erfahrung mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in sein Heimatland und seine knappe Flucht ihn vor allem eines lehrten: »Der einzige Schutz ist das Vorhandensein starker demokratischer Traditionen.« Vieles von dem, was Eisinger aus den späten 30er-Jahren beschreibt, erinnert uns an Ereignisse, die wir heutzutage weltweit beobachten, in einer Zeit, in der Parteien erstarken, die die Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen betonen und einwanderungsfeindliche Positionen vertreten.
In den USA sind zu wenige Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs verblieben, die uns aktiv daran erinnern könnten, wie sie mit »gepackten Koffern« lebten, während sie Verfolgung, das Wegbrechen der Demokratie und den Verlust der Freiheit in ihren Heimatländern erfuhren.
sicherheit Bis vor Kurzem dominierte die gemeinsame amerikanische Wahrnehmung die behagliche und in Sicherheit wiegende Annahme, dass unsere Demokratie stark genug ist, um Herausforderungen an unsere demokratischen Institutionen zu überstehen. Mehr und mehr Amerikaner sind erschüttert von den Vorkommnissen in den USA, die unsere demokratischen Traditionen unterminieren.
Statt in der Tatsache Trost zu finden, dass unsere Gesellschaft diese Herausforderungen auch in der Vergangenheit überwand, sollten uns die Lehren früherer gescheiterter Demokratien als auch die unserer aktuellen Demokratie wachsam machen für deren Fragilität und den Imperativ zu handeln.
Es gibt vieles, das wir lernen können, wenn wir sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen den 30er-Jahren und heute betrachten. Zweifellos war die Weimarer Republik in Deutschland eine junge Demokratie, der die Zeit fehlte, um öffentliches Vertrauen zu gewinnen und starke Institutionen zu schaffen, die die negativen Auswirkungen des Versailler Vertrags und der Hyperinflation hätten kontern können. Dennoch erscheinen die nachfolgenden Ereignisse unheimlich vertraut.
einwanderungszahlen Arbeiter sorgen sich weltweit um die Zukunft ihres Landes und ihre eigene Sicherheit. Außerdem stellten sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch gegenwärtig rekordbrechende Einwanderungszahlen eine ökonomische und politische Herausforderung dar, die rechte Parteien nutzen, um Unterstützung für ihre nativistischen Positionen zu erhalten.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, glaubten ihre Anhänger, sie könnten Deutschlands Probleme lösen. Andere mochten vielleicht nicht den Hass teilen, den die Nazis propagierten, aber sie dachten, er stelle keine unmittelbare Gefahr dar. Jegliche noch verbliebene Hoffnung ging mit den Novemberpogromen 1938 verloren, als in einem orchestrierten Akt der Gewalt in ganz Deutschland und Österreich Tausende jüdische Geschäfte und Privathaushalte geplündert und Hunderte Synagogen zerstört wurden.
Das Zusammenfallen der Wahlen in den USA und des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht sollte uns als Weckruf dienen, um die Verwundbarkeit unserer demokratischen Institutionen zu verstehen, selbst in einem Land wie den USA, das seit 230 Jahren mit einer konstitutionellen Demokratie gesegnet ist.
pressefreiheit Angriffe auf die Pressefreiheit und Wählerrechte drohen unser Land zu schwächen. Anstrengungen, unsere Bevölkerung nach Rasse, Religion oder Immigrationsstatus zu spalten, verstoßen gegen die demokratischen Werte, die die USA zu dem großartigsten Beispiel machten, wie Demokratie gelingen kann.
Wie eingangs festgehalten, haben wir schon früher mitansehen müssen, wie Demokratie bedroht wurde, sowohl global als auch hier in den USA. Viel zu oft war die Bürgerschaft selbstgefällig, sie ignorierte die Anzeichen der Erosion von Institutionen, das Erstarken von Vorurteilen und hielt den Glauben aufrecht, dass »so etwas hier nicht geschehen kann«. Wir müssen den Lehren der Geschichte Beachtung schenken, durch Wahlen und andere Formen der aktiven Beteiligung, und uns daran erinnern, wie uns auch Josef Eisinger sagte, dass »starke demokratische Traditionen« der einzige wirksame Schutz sind.
Der Autor ist Executive Director des Leo-Baeck-Institute New York/Berlin.