Seit dem letzten Sommer läuft in San Francisco der Prozess einiger jüdischer Studenten gegen die San Francisco State University. Der zugrunde liegende Streit steht nicht nur für das Versagen einer Hochschulleitung, sondern für einen bedrohlichen Trend. Im Februar hatten Studenten der Uni eine Veranstaltung organisiert, um Kommilitonen besser gegen Attacken und Vorurteile zu wappnen, die man unter der neuen Regierung erwartete.
Wie wehrt man sich gegen Fremdenfeindlichkeit? Wie gegen Schwulenhass? Und was macht frau, wenn sie wegen ihres Kopftuchs attackiert wird? Und, natürlich, wie bekämpft man Antisemitismus? Oder? Schließlich hatten die Angriffe gegen keine Gruppe so zugenommen wie gegen Juden. Nein. Hillel, die jüdische Studentenvertretung, musste draußen bleiben. Rechtsanwalt Seth Weisburst, der die Studenten in diesem Fall nun unentgeltlich vertritt, sagt: »Diese jungen Leute hatten keinen Menschen, an den sie sich wenden konnten. Weil sie Juden waren.«
juristerei Dass sich das alles vor Gericht und damit in der Öffentlichkeit abspielt, ist gut, und man kann nur hoffen, dass die Universität zahlen muss. Doch mit Juristerei allein ist es nicht getan.
Die jüdische Gemeinschaft als Ganzes muss sich intensiver mit einer kämpferischen Theorie auseinandersetzen, die ihre Verfechter als Intersektionalität adaptiert haben und die besonders jungen Juden nicht nur das Leben schwer macht, sondern ihre Identität infrage stellt. Vereinfacht ausgedrückt besagt dieses Konzept, dass alle Formen sozialer und gesellschaftlicher Unterdrückung strukturell miteinander verbunden sind.
Die »Black Lives Matter«-Gruppen haben sich der Idee der Intersektionalität genauso verschrieben wie Vertreter der LGBT-Gemeinschaft oder der Frauenbewegung. Das Motto lautet: Wer als Bürger gegen eine Form der Diskriminierung ist, kann eine andere nicht unterstützen. Und nachdem man die Geschichte der Palästinenser sorgfältig in den Erzählstrang eingewoben hat, gehören auch sie auf die Opferseite.
BDS-bewegung Gepuscht hat das besonders die BDS-Bewegung. Vor allem an Universitäten nutzen BDS-Anhänger die neu entdeckte Theorie, um Bündnisse mit anderen sozialen Gruppen einzugehen. Und um jüdische Studenten draußen zu halten. Aus dieser Perspektive können Juden natürlich nicht selbst Opfer sein, wie es die Studenten in San Francisco für sich in Anspruch genommen hatten.
Zudem schließen Kommilitonen sie aus sozialen Bewegungen aus, für deren Ziele sie sich eigentlich mit Leidenschaft engagieren, sobald sie sich als Zionisten outen. Wenn man sich vor Augen hält, dass einer PEW-Studie zufolge über 80 Prozent der amerikanischen Juden zwischen 19 und 29 Jahren die besondere Beziehung zu Israel als einen wichtigen Teil ihrer jüdischen Identität ansehen, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es ihnen heute an progressiven Universitäten geht.
Um sie herum entspinnt sich eine gefährliche Gesinnung. Zu Ende gedacht nimmt sie liberalen Juden alles, wofür sie stehen wollen: soziale Gerechtigkeit, Gleichbehandlung der Ethnien und Religionen, den Einsatz für eine bessere Welt, und eben Israel. Solange sie an ihrer Solidarität mit dem jüdischen Staat festhalten, stehen sie auf der falschen Seite. Zionistinnen könnten keine Feministinnen sein, ließ Linda Sarsour wissen, eine der Organisatorinnen der Frauendemonstrationen gegen Präsident Trump, neues Idol der Linken, und seit ihrer Wahl als eine der »Frauen des Jahres« durch das »Glamour«-Magazin auch vom Mainstream durchgewunken.
diskreditierung Zu Besuch in Deutschland, stellt man schnell fest, dass sich eine ähnliche Dynamik entwickelt. Ganz abgesehen davon, dass die BDS-Bewegung auch hier nicht wenige Anhänger hat, schleichen sich bedrohliche Beschreibungen und Definitionen in den Alltag ein. Bedrohlich, weil sie zu einer Identitätsbestimmung von Juden führen, an deren Entwicklung diese zwar mehrheitlich unbeteiligt bleiben, unter der sie aber dennoch leiden, weil sie zu ihrer sozialen Diskreditierung führt, sobald sie für Israel eintreten.
Wenn Zeitungskommentare zu Unruhen auf dem Tempelberg emphatisch vom »drittheiligsten Ort der Muslime« sprechen, doch nicht von der überwältigenden Bedeutung, die dieser Ort für die Juden hat – was lässt man denen dann? Und welches Bild entsteht in den Köpfen, wenn selbst Bildungsbürger im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt den »strafenden Gott der Juden« reflektieren?
Früher sagte man über belesene Juden gern: »Der kennt seinen Schulchan Aruch.« Wenn wir nicht anderen das jüdische Narrativ überlassen wollen, brauchen wir neben dem alten einen neuen, einen politischen Schulchan Aruch. Wir müssen mehr lernen und wissen. Nicht nur über jüdische Religion, Ethik und Kultur, sondern über Israel, UN-Protokolle und Friedensgespräche. Und wir müssen wissen, wer wir sind und wofür wir stehen wollen. Nur so können wir Voreingenommenheit und Angriffen die Stirn bieten. Als stolze Juden. Und selbstbewusste Zionisten.
Die Autorin lebt als Publizistin in San Francisco.