Am 23. August wird sich auch der Ethikrat mit dem Thema Beschneidung aus religiösen Motiven beschäftigen. Die Vorsitzende des Gremiums, das von Parlament und Bundesregierung berufen wird, die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen, sagte, sie halte Schnelligkeit bei diesem Thema für »verfehlt«.
Leo Latasch, einziger jüdischer Vertreter im Ethikrat, widerspricht. »Ich finde es nicht gut, solche Äußerungen von sich zu geben, ohne mit uns gesprochen zu haben«, sagte Latasch der Jüdischen Allgemeinen. Der Frankfurter Rettungsmediziner glaubt, dass der Ethikrat schneller handeln muss. »Mehr Zeit bringt uns nichts.« Vielmehr sei die öffentliche Debatte, die nach dem umstrittenen Verbotsurteil des Landgerichts Köln aufgekommen ist, dank Sommerloch immer unsachlicher geworden. »Das Ganze hat sich schon von einer vernünftigen Diskussion zu einer verbalen Schlammschlacht entwickelt«, so Latasch.
Druck Christiane Woopen hatte dem Nachrichtenmagazin »Focus« gesagt, eine Stellungnahme des Ethikrats brauche Zeit, weil gleich drei Debatten zu führen seien: Bei der wissenschaftlichen gehe es um das Verhältnis der Rechte auf körperliche Unversehrtheit, Erziehung und Religionsfreiheit. In der »kulturell-religiösen Debatte« gehe es um »Glaubensüberzeugungen in ihrer historischen Dimension«, und die politische Debatte müsse zwischen den beiden anderen vermitteln. Daher sollte sich der Rat »nicht unter Druck setzen«.
Ursprünglich wollte der Ethikrat das Thema Beschneidung erst auf seiner Sitzung im September erörtern. Aus »planerischen Gründen«, wie die Sprecherin des Ethikrates, Ulrike Florian, sagt, sei es vorgezogen worden. Nun findet in drei Wochen eine öffentliche Sitzung statt, bei der es zunächst etliche Impulsreferate von Mitgliedern des Ethikrates geben wird. Neben dem muslimischen Vertreter, dem Mediziner und Philosophen Ilhan Ilkilic, wird auch Leo Latasch dort sprechen.
»Ich will versuchen, die Diskussion wieder auf ein sachliches Niveau zu führen«, sagt Latasch, der nicht nur die Frankfurter Rettungsdienste leitet, sondern auch als Hochschullehrer Studenten unterrichtet und Sozialdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ist. »Ich werde einen Überblick über die Bedeutung der Beschneidung für die Religion geben und einen sehr kurzen Abriss über die Medizin.« Vielen Nichtjuden, so Latasch, sei nicht bewusst, »welche Bedeutung die Beschneidung für das Judentum hat«.
Wichtig sind Latasch die Untertöne, die sich immer stärker in die Diskussion eingeschlichen haben. In einem Offenen Brief, der auf faz.net, dem Onlinedienst der »Frankfurter Allgemeinen«, veröffentlicht wurde, haben sich beispielsweise über 600 Mediziner unter anderem mit dem Argument gegen Beschneidung ausgesprochen, Religionsfreiheit dürfe »kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt« sein.
gewalt »Wenn da jetzt von Medizinern plötzlich der Begriff ›sexuelle Gewalt‹ benutzt wird«, sagt Latasch, »dann frage ich mich: Welche Untertöne sind da auf einmal in der Debatte?« Da schwinge auch der Vorwurf mit, »eine Religion, die Beschneidung verlangt, ließe sexuelle Gewalt zu, ja, sie fordere sie geradezu«. Latasch sagt: »In solcher Wortwahl und solchen Vergleichen höre ich sehr wohl antijüdische und antiislamische Töne heraus.«
Auf den Offenen Brief gibt es nun eine Antwort, die Erklärung »Für das Menschenrecht auf elterliche Erziehung zur religiösen Identität«. Zur Unterzeichnung ruft auch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland auf. Dort wird der Kinderschutzgedanke religiös gewendet: Jüdische und muslimische Kinder sollen in einer offenen Gesellschaft aufwachsen dürfen, »die ihre Identität nicht kriminalisiert, sondern sie als gleichberechtigt und gleichwertig anerkennt«.
Auch der Bundesverband Jüdischer Mediziner hat sich in die laufende Debatte eingemischt. »Es würde keinem Richter in Deutschland einfallen«, sagt die Verbandsvorsitzende Cora Rimoczi, »per Gerichtsurteil den Zölibat, den Papst oder andere wichtige christliche Traditionen abzuschaffen oder zu kriminalisieren.« Der Bundesverband würde begrüßen, wenn es bald zu einer Gesetzesänderung kommen sollte, die für Juden und Muslime Rechtssicherheit schaffe.