Meinung

Baerbocks denkwürdiger Besuch

Zuerst gab es ein Geburtstagsständchen, dann folgte Tacheles: Die Teilnahme von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am diesjährigen Gemeindetag war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Die Grünen-Politikerin hatte es sich trotz ihres 43. Geburtstags am Freitag nicht nehmen lassen, das viertägige Großereignis des Zentralrats der Juden zu besuchen. Das Publikum dankte es Baerbock mit einem spontanen »Hayom Yom Huledet«.

Doch dann wurde es der anfänglichen Herzlichkeit zum Trotz ungemütlich für die Außenministerin. Und zwar zu Recht. Baerbock wird zwar nicht müde, mit großer Geste und Emphase ihre Solidarität mit Israel zu erklären; trotzdem versäumte die Außenministerin nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober mehrere Gelegenheiten, bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen Israel zur Seite zu stehen.

Um es klar zu sagen: Wirkliche Unterstützung sieht anders aus. Bereits zum dritten Mal in kurzer Zeit enthielt sich Deutschland in den UN bei klar israelfeindlichen Nahost-Resolutionen, anstatt – wie etwa die USA oder Mikronesien – mit einem deutlichen Nein abzustimmen.

Zentralratspräsident Josef Schuster fand bei seiner Gemeindetagsrede klare Worte für das ambivalente Verhalten der Außenministerin. »Wir brauchen nicht verschweigen, dass ich mir und mit mir viele andere ein anderes Abstimmungsverhalten der Bundesregierung zur relativierenden UN-Resolution gewünscht hätte«, betonte Schuster unter Applaus des Publikums.

Auch Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der israelischen Streitkräfte, lieferte in seiner Keynote mit Blick auf den Kurs der Bundesregierung nach dem 7. Oktober Klartext. »Manchmal muss man auch klare Kante zeigen. Deutschland darf sich nicht unterschätzen. Deutschland muss aus einer Position der Stärke kommen, nicht der Schwäche«, forderte der gebürtige Berliner.

Sowohl Schuster als auch Shalicar sprachen aus, was das politische Berlin schon länger beobachtet: Nach den anfänglichen Solidaritätsbekundungen Baerbocks mit Israel im Anschluss an den 7. Oktober drängt sich in jüngster Zeit der Eindruck auf, dass auch die Unterstützung von Deutschlands Chef-Diplomatin für den jüdischen Staat brüchiger wird. Allzu oft ist allein Israel der Adressat ihrer Kritik und ihrer Ermahnungen, nicht aber die Massenmörder der Hamas, die wohlgemerkt sowohl jeden einzelnen Toten in Israel als auch jeden einzelnen Toten in Gaza zu verantworten haben.

Bemerkenswert auch: Baerbock bleibt dabei, dass mit deutschen Hilfsgeldern nicht der Terror der Hamas finanziert werde. Doch das ist wenig glaubwürdig. Jüngst warnte sogar das Innenministerium in Berlin davor, Ortskräfte des Außenministeriums aus Gaza die Einreise nach Deutschland zu erlauben, weil es sich um Menschen mit antisemitischer und islamistischer Gesinnung handelt.

Auch mit Blick auf israelische Siedler im Westjordanland auf der einen Seite und den Hamas-Massenmördern in Gaza auf der anderen Seite übt sich die Außenministerin in gefährlicher Äquidistanz.

Dabei war die Grünen-Politikerin doch nach Regierungsbildung der Ampel vor genau zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, künftig eine wertebasierte Außenpolitik zu betreiben und anders als ihre beiden sozialdemokratischen Amtsvorgänger Heiko Maas und Frank-Walter Steinmeier auch zu De-facto-Diktaturen klare Worte zu finden. Im Umgang mit Staaten wie Russland und China hat Baerbock bislang ihr Versprechen gehalten. Sie sagt, wie es ist: Es handelt sich bei beiden Staaten um Systeme, in denen Menschenrechte und die Freiheit des Individuums nichts gelten.

Beim Thema Israel aber droht Baerbock nun an ebenjene unselige Tradition ihrer beiden Amtsvorgänger anzuknüpfen. Doch Solidarität mit Israel gibt es nicht zum Nulltarif, sie erschöpft sich auch nicht in warmen Worten und Betroffenheits-Bekundungen. Wirkliche Unterstützung Israels erfordert Taten. Es erfordert einen politischen Preis. Erst dann zeigt sich, ob das Versprechen »Wir stehen an Israels Seite« tatsächlich ernst gemeint ist – oder nicht vielmehr ein ebenso wohlfeiles wie folgenloses Versprechen ist.

engel@juedische-allgemeine.de

Antisemitische Hetzjagd

Amsterdams Bürgermeisterin will nicht mehr von »Pogrom« sprechen

Der Begriff würde genutzt, um die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, sagt Femke Halsema

von Nils Kottmann  18.11.2024

Fachtagung

»Unsäglich« - Kritik an Antisemitismus in der Kultur

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische und israelische Kulturschaffende sehr schwierig geworden. Damit beschäftigt sich jetzt eine Tagung in Frankfurt - auf der auch Rufe nach einer differenzierten Debatte laut werden

von Leticia Witte  18.11.2024

Berlin

Polizeipräsidentin rät Juden und Homosexuellen zu Vorsicht in Teilen von Berlin

Barbara Slowik: »Leider gibt es bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen«

 18.11.2024

Washington D.C.

Familien von Opfern des 7. Oktobers verklagen Iran

Geheime Papiere dienen als Beweise

 18.11.2024

Frankfurt am Main

Soziologe Sznaider: Juden müssen den Finger in die Wunde legen

Sznaider äußerte sich auf der Fachtagung »Jüdisches Leben in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie«

 18.11.2024

Berlin

Ermittlungen wegen Volksverhetzung nach Pro-Terror-Demo

Weitere Straftaten beschäftigen die Beamten ebenfalls

 18.11.2024

Washington D.C.

US-Senator droht Internationalem Strafgerichtshof wegen Israel

John Thune fordert: Die Maßnahmen für Haftbefehle gegen israelische Regierungsmitglieder müssen zurückgenommen werden

von Imanuel Marcus  18.11.2024

Zürich

NZZ-Chefredakteur Eric Gujer nach Farbanschlag von Linksradikalen: »Natürlich weichen wir nicht der Gewalt« 

Die Polizei nimmt zehn Personen aus der linksautonomen Szene fest

 17.11.2024

USA

Wer hat in Washington bald das Sagen?

Trumps Team: Ein Überblick

von Christiane Jacke  17.11.2024