In der vergangenen Woche sind 50 radikale Siedler in ein israelisches Militärlager eingedrungen. Sie schlitzten dort Reifen auf und bewarfen den Kommandanten mit Steinen, nachdem sie die Tür seines Jeeps aufgerissen hatten. In blinder Wut zerstörten sie Militärfahrzeuge. Dem Vandalenakt war eine andere Gewalttat vorausgegangen: 300 meist jugendliche Siedler hatten palästinensische Fahrzeuge mit Steinen beworfen. Als Grund gaben sie an, sie hätten gegen die Zerstörung von illegalen Außen- posten protestieren wollen.
Gewalt Der Angriff auf das israelische Militärlager ist der vorläufige Höhepunkt in einer Eskalation der Gewalt, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Israel führen könnte, wenn es die Regierung nicht schafft, den Extremisten Einhalt zu gebieten.
Bisher ist das weder den Politikern noch den Sicherheitskräften gelungen. Dass junge Siedler schon fast routinemäßig Palästinenser angreifen, islamfeindliche Graffiti auf Moscheen schmieren oder Olivenhaine zerstören, ist bislang weitgehend toleriert worden. Die Armee unternahm wenig bis nichts, um der Gewalt gegen Palästinenser Einhalt zu gebieten. Die Täter bleiben in der Regel unbestraft: Mehr als 90 Prozent der Anzeigen gegen gewaltsame Siedler, welche Palästinenser bei der Polizei erstatten, bleiben ohne Folgen, schätzt das zur UN gehörende Ocha, das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs. Mit dem Tolerieren von Gewalt mache sich das ganze Land mitschuldig, sagt der ehemalige Tourismusminister Uzi Baram.
heilig Die jüngsten Übergriffe von Siedlern haben jetzt andere, schärfere Reaktionen nach sich gezogen. Die Vorfälle seien »sehr gravierend«, ließ Präsident Schimon Peres verlauten. Israel sei immer stolz darauf gewesen, heilige Stätten zu beschützen. Für Premierminister Benjamin Netanjahu haben die gewaltbereiten Siedler »rote Linien überschritten«. Doch gleichzeitig nahm er die Siedler insgesamt wieder in Schutz: Die meisten von ihnen seien nicht gewalttätig.
Wenn solche Taten toleriert würden, sei der Rechtsstaat in Gefahr, warnt hingegen Geheimdienstminister Dan Meridor. Oppositionsführerin Zipi Livni macht Premier Netanjahu dafür verantwortlich, dass der Extremismus in Israel überhandnehme.
Der nationalreligiöse Knessetabgeordnete Zevulun Orlev fordert hingegen ein neues Gesetz, das die Zerstörung von illegalen Außenposten verbieten soll. Davon will Generalstaatsanwalt Yehuda Weinstein nichts wissen. Das würde zu Verfassungsproblemen führen, sagt er.
verständnis Während die meisten Politiker die Taten der Siedler als Verbrechen verurteilen, zeigen einige Rabbiner Verständnis. Eljakim Levanon, der Rabbiner von Elon Moreh, kritisiert die Attacken zwar. Doch die Schuld sieht er bei der Regierung. »Wer Außenposten räumen lässt, lädt Schuld auf sich«, behauptet er und sagt: »Die Verhärtung der israelischen Politik gegenüber den Siedlern veranlasst Extremisten, Dinge zu tun, die sie nicht tun sollten.«
Polizei und Justiz fassen die gewalttätigen Siedler mit Samthandschuhen an. Ein Teil der Jugendlichen, die mit Gewalt gegen die Armee und gegen Palästinenser vorgehen, wurde nicht gefasst. »Die Polizei unternimmt zu wenig«, sagt ein Beobachter und vermutet politische Gründe. So wurde auch der Siedler, der den Kommandanten tätlich angegriffen hatte, nicht dingfest gemacht. Die Täter, die von der Polizei gefasst wurden, durften nach einem kurzen Verhör wieder nach Hause gehen.
terroristen Verteidigungsminister Ehud Barak und Justizminister Jaacov Neeman hatten gefordert, die gewalttätigen Siedler als Terroristen einzustufen. Dann hätten sie vom Inlandsgeheimdienst Shabak verhört werden können, und es hätten ihnen hohe Gefängnisstrafen gedroht. Doch Netanjahu, der das Vorgehen gegen die Gewalt der Siedler zur Chefsache erklärt hat, will die Täter nicht als Terroristen kategorisieren. Er bezeichnet die Täter als Anarchisten und Gesetzesbrecher. Da es sich dabei oft um Minderjährige handelt, kommen sie praktisch ungeschoren davon.
Dass Siedler von der Armee kaum daran gehindert werden, mit Gewalt ihre Ziele durchzusetzen, ist nicht neu. Bereits vor drei Jahren hatte ein interner Bericht, den die Zahal-Führung hatte anfertigen lassen, davor gewarnt, dass die Armee gegen die Exzesse der Siedler »nicht mit genügender Entschlossenheit« vorgehe.