Stutthof-Prozess

»Es ist eine moralische Pflicht«

Josef Salomonovic (Archiv) Foto: imago images/Max Stein

Der KZ-Überlebende Josef Salomonovic hat im Prozess gegen eine 96 Jahre alte frühere Sekretärin im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig über Deportation und Leid seiner Familie berichtet. »Angenehm ist es nicht, das aufzuwühlen«, sagte der 83-Jährige am Dienstag, der in Begleitung seiner Frau aus Wien in das Landgericht Itzehoe gekommen ist.

In bewegenden Worten und mit leiser Stimme berichtete Salomonovic, der die Deportation in verschiedene Konzentrationslager, darunter Auschwitz und Stutthof als kleiner Junge durchleben musste, vom Schicksal seiner Familie. Zusammen mit seinem älteren Bruder Michael und seiner Mutter Dora überstand er Hunger, Kälte und Entbehrungen. Sein Vater Erich wurde im September 1944 in Stutthof mit einer Phenolinjektion ins Herz ermordet.

»Es ist eine moralische Pflicht, angenehm ist das nicht«, sagte Salomonovic. Er mache das für seinen Vater, für seine 1992 gestorbene Mutter und seinen vor zwei Jahren gestorbenen Bruder. Ein Foto seines Vaters hält er in Richtung der Angeklagten, die einige Meter entfernt hinter einer Plexiglaswand sitzt. Eine Reaktion zeigt Irmgard F. nicht. »Vielleicht schläft sie so wie ich, schlecht«, sagt der 83-Jährige auf die Frage eines Nebenklagevertreters, ob er mit dem Zeigen des Fotos eine Frage an die Angeklagte verbinde.

Irmgard F. steht vor dem Landgericht, weil die Staatsanwaltschaft ihr Beihilfe zum Mord in mehr als 11 000 Fällen in Stutthof vorwirft. Sie habe von Juni 1943 bis April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers gearbeitet. Das Verfahren gegen F. findet vor einer Jugendkammer statt, weil die Angeklagte zur Tatzeit erst 18 beziehungsweise 19 Jahre alt war.

Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65 000 Menschen.

Salomonovic schilderte, er habe als kleines Kind gesehen, wie den Frauen, auch seiner Mutter, alles abgenommen wurde, Kleidung, persönliche Gegenstände und Schmuck, und ihnen dann der Kopf kahl geschoren wurde. Er habe nichts verstanden und in der Reihe der Frauen seine Mutter nicht mehr wiedererkannt. Gegen die erbärmliche Kälte habe er sich später immer zwischen ihre Beine gekauert. Immerhin hätten sie eine Decke gehabt. »Das Schlimmste waren der Hunger und die Kälte.« Das Kriegsende erlebten die Drei unter dramatischen Umständen in Dresden, wo die Mutter in einer improvisierten Munitionsfabrik arbeiten musste.

Auf die Frage einer Richterin, wie er das Schreckliche nach der Befreiung verarbeitet habe, reagierte Salomonovic ablehnend: »Ich will nicht darüber reden. Es ist zu schwer.« Nach der Verhandlung sagt er über die Angeklagte: »Sie ist indirekt schuldig«. Auch wenn sie im Büro gesessen und den Stempel auf den Totenschein seines Vaters gesetzt habe.

Der Prozess soll am 14. Dezember mit der Aussage einer Zeugin fortgesetzt werden, die per Video aus den USA zugeschaltet wird.

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert