Urlaub

Ausgerechnet Israel

Metropole Tel Aviv: denkbar unprätentiöses Multikulti am Meer Foto: Flash 90

Der Standardsatz als Endlosschleife: »Das ist mir im Urlaub zu gefährlich.« In der Tat erreichen uns aus dem Süden schreckliche Nachrichten. In unserer selektiven Wahrnehmung machen sie umso betroffener, als dort längst nicht »nur« afrikanische Bootsflüchtlinge ums Leben kommen, sondern auch »unsere Leute« – Touristen wie wir.

Das Strandmassaker von Tunesien kann sich wiederholen, weitere Anschläge im ägyptischen Sinai sind nur eine Frage der Zeit, und sogar an der spanischen Costa Brava geraten die Sicherheitsdienste ins Schwitzen: Was, wenn eines der regelmäßig aus Marokko kommenden Schnellboote nicht die üblichen Drogen, sondern IS-Terroristen mit Kalaschnikows an Bord hat? Aber auch in der Region um Antalya und selbst an Bulgariens Sonnenstrand gab es in den letzten Jahren terroristische Anschläge.

sorge Umso verblüffender bei alldem, dass obige Sorge vor »gefährlichem Urlaub« ausgerechnet jenem Land gilt, wo es nun tatsächlich sicher ist: Israel. Zugespitzt gesagt: Selbst in den Tagen des Gaza-Krieges vom letzten Sommer war es dank des Iron Dome am Strand von Tel Aviv potenziell ungefährlicher als in den Straßen von Paris und Kopenhagen. Seit jenem von Arafats Fatah verantworteten »Küstenstraßen-Massaker« vom März 1978 gehören Israels Strände zu den bestgeschützten der Welt. Der Grenzzaun zum Westjordanland tut ein Übriges, damit sich auch Anschläge wie der auf die Diskothek am Tel Aviver Dolphinarium nicht wiederholen. Gerade jetzt – in dieser Zeit – kann es nicht schaden, solche Fakten zu kennen, um blauäugige Naivität ebenso zu vermeiden wie unangebrachte Hysterie.

Freilich: Sind Ferien in einem Hochsicherheitsgebiet tatsächlich entspannend? Erfahrungsgesättigte Antwort: Ja, wenn man vor Ort Sinn für Prioritäten hat. Denn nicht etwa die friedlich kiffenden Jugendlichen vom Gordon Beach, nicht die vergnügten Nudisten am Strand von Gaasch provozieren staatliche Aufmerksamkeit und Restriktion; die Küstenpatrouillen, ebenso unsichtbar wie effizient, haben wirkliche Gefahren im Visier.

ordnungshüter Auch grillende Großfamilien und technotanzende Halbgötter und -göttinnen rufen keine Ordnungshüter auf den Plan, denn trotz aller Partystimmung: Besinnungslose Trunkenheit mit einhergehender Aggressivität gehörten eher zum Ballermann auf Mallorca als zum israelischen Strandleben. Das Gleiche gilt für kleinliche Zänkereien um Liegen und Sonnenschirme, die besser zur ClubMed-Welt auf der anderen Seite des Mittelmeers passen. Selbst die Spannung zwischen Säkularen und Orthodoxen scheint in Tel Aviv suspendiert, haben Letztere doch ein eigenes Bade-Areal – ironischerweise in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem oft von Homosexuellen frequentierten Strand.

Provokante Zwischenfrage: Würde man dies im katholischen Italien, im orthodoxen Griechenland und in der muslimischen Türkei ebenso konfliktfrei und entspannt leben können? Und an welch anderem Ort auf der Welt tollen junge Araber und Juden in vergleichbarer Nähe in den anrollenden Wellen, während ihre prüfenden Blicke lediglich den vermeintlich stärkeren Oberarmmuskeln des jeweils anderen gelten? Was hiesigen Medien keine Schlagzeile wert zu sein scheint, ist zwischen Jaffa und Haifa tatsächlich Realität: angebliche »Erbfeinde« in der Sonnenanbetung vereint, Bikini-Schönheiten im Sonnenschirm-Schatten neben Kopftuch tragenden Musliminnen – oder auch jungen Frauen aus Ostjerusalem, die sich in kehligem Arabisch über die besten Tattoo-Shops von Tel Aviv austauschen.

multikulti Denkbar unprätentiöses Multikulti am Meer: Filipinas, die in sanftem Englisch ihren nigerianischen Bewunderern erklären, welche Herausforderung es darstellt, in chaotischen israelischen Haushalten Pflegedienste zu übernehmen – und in unmittelbarer Nachbarschaft dazu ein lesender Student, der eine Trouvaille aus den zahlreichen Antiquariaten der strandnahen Allenby Street bei sich hat. Wobei angesichts derart global diverser Mentalitäten, Gefühls- und Erfahrungswelten keine homogene Kitsch-Idylle entsteht, sondern etwas viel Besseres und beinahe ebenso Unwahrscheinliches: eine Wirklichkeit, in der man weder besinnungslos wütet noch beleidigt schweigt, in der Miteinander-Reden kein politisch korrektes Bemühen ist, sondern unspektakulärer Alltagsmodus.

Seltsam deshalb, dass selbst die Broschüren des israelischen Tourismusministeriums nicht mit dem Existenziellen einer solchen Erfahrung werben, sondern es bei den üblichen Party-Strand-Fun-Slogans belassen. Schade. Denn gerade auch Familien und Ältere könnten an israelischen Stränden wohltuend sehen, dass jugendlicher Körperkult nicht alles ist. Denn wie ausgelassen sind Kleinkinder und Senioren auf der abendlichen Strandpromenade, wenn sie gemeinsam tanzen – zu israelischer Folkmusik ebenso wie zu amerikanischem Pop. Hüftschwünge und Arm-Arabesken über alle Generationsgrenzen hinweg, eine Daseinsdankbarkeit, die physische Unbeholfenheit nicht verdrängt, sondern mit Charme und Ironie relativiert.

In der Tat gibt es wohl keine kulturelle und politische Präferenz, die an Israels Stränden nicht unbesorgt ausgelebt werden könnte. Deshalb, in der Sprache des plebejischen Berlin, mit dem Tel Aviv so viel gemeinsam hat: Nix wie hin!

Der Autor ist Schriftsteller in Berlin und veröffentlichte unter anderem den Essayband »Kosmos Tel Aviv«.

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert