Mit sofortiger Wirkung ist Hans Lipschis am vergangenen Freitag freigelassen worden. Der Haftbefehl gegen den 94-Jährigen, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, als Wachmann im Vernichtungslager Auschwitz Beihilfe zum Mord an 10.510 Menschen geleistet zu haben, wurde aufgehoben.
Begründet wurde die Maßnahme vom Landgericht Ellwangen damit, dass es »erhebliche Zweifel« an der Verhandlungsfähigkeit gebe: Das Gericht stützt sich »auf den eigenen persönlichen Eindruck« sowie auf die Einschätzung eines Psychiaters, der eine beginnende Demenz bei Lipschis diagnostiziert hat. Seit Mai hielt sich Lipschis im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg bei Stuttgart auf.
prozess »Über die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens wird die Schwurgerichtskammer noch zu entscheiden haben«, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Ob dies nach der Freilassung Lipschis’ noch wahrscheinlich ist, kann keiner der Beteiligten sagen.
In Hannover wird derzeit gegen den 92-jährigen Oskar Gröning ermittelt. Er sei vermutlich »direkter am Holocaust beteiligt, als er bislang eingeräumt hat«, sagt Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center in Jerusalem.
Ein Reporter der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, der Gröning aufsuchte, berichtet, er sei »präsent, schlagfertig, eloquent«. Gröning erzähle davon, wie er an der Rampe in Auschwitz von den Menschen Geld eingesammelt habe, die danach in die Gaskammern getrieben wurden. Im Gespräch mit dem Journalisten sagte Gröning: »Ich fühle mich nicht schuldig, ich habe hier nie jemandem auch nur eine Ohrfeige verpasst.« Allerdings habe er damit gerechnet, »dass das Folgen haben wird. Nicht nur für die Führungskräfte, auch für die anderen«.
karriere Nach 1945 war Gröning als Personalleiter bei einer Firma mit 1200 Mitarbeitern beschäftigt. Als Zeuge hat er bereits dreimal in Prozessen ausgesagt, unter anderem sprach er sich gegen die Leugnung des Holocausts aus. »Ich war dabei, es ist alles wahr.«
Gröning ist einer von drei ehemaligen SS-Männern, gegen die die niedersächsische Justiz gegenwärtig ermittelt. Ein 88-jähriges weiteres Mitglied des Wachkommandos und ein 89-jähriger SS-Rottenfüh- rer sind davon betroffen. Bundesweit sind derzeit insgesamt 30 mutmaßliche NS-Verbrecher im Visier.
Wie die Leipziger Volkszeitung erfuhr, ist auch ein 91-jähriger Mann aus dem sächsischen Döbeln darunter. Er gehörte zur Wachmannschaft in Auschwitz, mehr wisse die Staatsanwaltschaft allerdings noch nicht.
Ermittlungen gegen frühere KZ-Wärter finden verstärkt erst seit dem Urteil gegen John Demjanjuk im Jahr 2011 statt. Damals war nach vielen Jahrzehnten erstmals wieder ein KZ-Wärter wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden, ohne dass es einen »konkreten Tatnachweis« gegeben hatte.